Süddeutsche Zeitung

Hessen:NPD-Ortsvorsteher soll abgewählt werden

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Balbierer, Max Gilbert und Rainer Stadler, München

Nach der bundesweiten Kritik anlässlich der Wahl des NPD-Mitglieds Stefan Jagsch zum Ortsvorsteher im hessischen Altenstadt-Waldsiedlung soll das Ergebnis rückgängig gemacht werden. Sieben der neun Mitglieder aus dem Ortsbeirat unterzeichneten einen Antrag von CDU, SPD und FDP auf Abwahl von Jagsch. Das bestätigte die stellvertretende hessische CDU-Vorsitzende Lucia Puttrich. Wann genau die Abwahl stattfinden wird, konnte Puttrich, die auch CDU-Vorsitzende des Wetterau-Kreises ist, nicht sagen. Es sei wichtig, dass juristisch alles sorgfältig gemacht werde.

Laut hessischer Gemeindeordnung genügt eine Zweidrittelmehrheit aller Ortsbeiratsmitglieder, um den Vorsitzenden abzuberufen. Einen besonderen Grund brauche es dafür nicht, heißt es aus dem hessischen Innenministerium. Der Ortsvorsteher, also Jagsch selbst, müsse infolge des eingereichten Antrags "unverzüglich" eine Sondersitzung einberufen, in der abgestimmt wird.

Dass die Ortsvorsteher-Wahl in Waldsiedlung mit seinen 2700 Einwohnern auf Jagsch fiel, begründete Norbert Szielasko, der im Ortsbeirat die CDU vertritt, am Wochenende pragmatisch. Man habe keinen anderen gefunden, "vor allem keinen Jüngeren, der sich mit Computern auskennt, der Mails verschicken kann". Jagschs Vorgänger Klaus Dietrich, der über die FDP-Liste in den Ortsbeirat gewählt wurde, ist erstaunt, dass die Wahl von Jagsch so hohe Wellen schlägt. Dass nun Druck von oben komme, nennt er eine "massive Beeinflussung". Es sei "wie in der Türkei, es wird so lange gewählt, bis der Richtige dran ist".

Zur Wahl Jagschs sagt Dietrich, die eigentliche Kandidatin für den Posten habe in der Sitzung vergangenen Donnerstag gefehlt, daher habe man schnell einen neuen Kandidaten gebraucht. Eine Vertagung der Wahl habe niemand beantragt. Dass Jagsch stellvertretender Landesvorsitzender der NPD ist, will Dietrich nicht gewusst haben. "Wir sehen nicht das Parteibuch, sondern nur den Menschen."

Auf seiner Facebook-Seite macht Stefan Jagsch keinen Hehl aus seinen politischen Überzeugungen. Oben steht der Schriftzug "Lügenpresse bleibt Lügenpresse", darunter postete er Bilder mit Sprüchen wie "Migration tötet" oder "Artenschutz auch für Deutsche". Sein CDU-Ortsbeiratskollege Szielasko hatte im Hessischen Rundfunk dennoch geäußert: "Was er in der Partei macht oder privat, das ist nicht mein Ding, nicht unser Ding." Im Ortsbeirat verhalte er sich "absolut kollegial und ruhig".

Der Name Stefan Jagsch tauchte 2015 im hessischen Verfassungsschutzbericht auf

Inzwischen bedauerten die Ortsbeiräte ihre Wahl und wollten sie rückgängig machen, betont CDU-Politikerin Puttrich. "Sie waren sich der Unmöglichkeit dieser Wahl wohl nicht bewusst."

Dabei tauchte der Name Stefan Jagsch 2015 sogar im hessischen Verfassungsschutzbericht auf. Die hessische NPD selbst bewertete der Landesverfassungsschutz zuletzt allerdings nur als "sehr eingeschränkt handlungsfähig". Wenige Kreisverbände seien aktiv gewesen oder öffentlich in Erscheinung getreten. Zu flächendeckenden Wahlerfolgen werde die Partei "vor dem Hintergrund der gegenwärtigen personellen, organisatorischen und finanziellen Schwäche jedoch kaum in der Lage sein".

In der Gemeinde Altenstadt allerdings kam die NPD bei der Kommunalwahl 2016 auf zehn Prozent, bei der Wahl zum Ortsbeirat im selben Jahr auf 14,4 Prozent. Im benachbarten Büdingen errang Daniel Lachmann, der NPD-Landesvorsitzende in Hessen, mit seiner Partei zehn Prozent bei den letzten Kommunalwahlen und 14 Prozent bei der Bürgermeisterwahl. Wiederholt fanden in Büdingen überregionale Treffen der NPD statt, auch der Bundesvorsitzende Frank Franz soll zugegen gewesen sein.

Der NPD-Landesvorsitzende Lachmann erklärt sich den Erfolg der Partei in den Orten des Wahlkreises Wetterau damit, dass Jagsch und er seit Langem politisch aktiv seien, "uns kennt hier jeder". Mitglieder der FDP und von "Pro Vernunft", einer Abspaltung der Freien Wähler, hätten in Büdingen wiederholt für Anträge der NPD gestimmt, sagt Lachmann. "Die gehen ganz vorurteilsfrei mit uns um." Die Wahl von Jagsch zum Ortsvorstand zeige, schrieb die NPD Hessen auf ihrer Homepage, "wie wichtig die kommunale Verankerung und der regelmäßige Kontakt zum Volk ist, um politisch ernst genommen zu werden".

Lachmann und Jagsch rechneten schon vor Bekanntwerden des Abwahlantrags damit, dass als Reaktion auf die bundesweiten Proteste im Ortsbeirat der Waldsiedlung versucht werde, das Wahlergebnis rückgängig zu machen. Wenn diejenigen, die Jagsch gewählt hätten, nun von außen Druck bekämen und ihn deshalb wieder abwählten, sagt Lachmann, "dann wäre das ein Armutszeugnis für die Demokratie".

CDU-Politikerin Puttrich sagt angesichts der heftig kritisierten Wahl, man müsse vor Ort noch "mehr politisch sensibilisieren". Es sei zwar Realität, dass Jagsch in der dortigen Lokalpolitik etabliert sei, aber man müsse den Leuten dort stärker klarmachen: "Das ist nicht der gute Mann von nebenan."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4593334
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.