Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Ein Ministerpräsident als Rechtsausleger

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Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Armin Laschet ist - laut Lebenslauf jedenfalls - ein Mann des Rechts. Drei Jahrzehnte sind vergangen, seit Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident zwischen 1981 und 1987 in München und Bonn Jura gebüffelt hat, erstes Staatsexamen inklusive. Wobei im Innern dieses katholischen Bürgersohns aus Aachen noch anderes schlummerte: Als Journalist erprobte sich Laschet nach dem Studium, ehe er die Politik zu seinem Beruf machte.

Seit 14 Monaten regiert der inzwischen 57 Jahre alte Christdemokrat sein Heimatland. Laschet fühlt sich wohl in seinem Amt, seine meist joviale, zugängliche Art hilft ihm beim Versuch, in die Rolle eines Landesvaters hineinzuwachsen. Seine schwarz-gelbe Koalition führt er meist geschmeidig. Aber wenn's hakt, wenn Probleme aufreißen, Rückschläge drohen - dann kann er auch anders. Dann greift der politische Handwerker in seinen alten juristischen Werkzeugkasten - und wird zum Mann fürs Grobe.

Genau das, einen "groben" und "offensichtlichen Rechtsbruch" haben Nordrhein-Westfalens Verwaltungsrichter der Landesregierung soeben in der Causa Sami A. bescheinigt, der Affäre um den illegal abgeschobenen Islamisten aus Tunesien. In erster wie in zweiter, endgültiger Instanz lautete das Urteil: "Rechtswidrig". Doch was machte Laschet am Tag darauf? Er stellte seinem Flüchtlingsminister und Stellvertreter Joachim Stamp einen Persilschein aus, als sei er ein Oberrichter: Stamp, so verkündete Laschet per Radio-Interview, habe "nach Recht und Gesetz" entschieden.

Er liest das Recht wie ein Gast im Wirtshaus das Menü - à la carte

Man versteht das Motiv. Der CDU-Politiker, einst selbst von 2005 bis 2010 ein engagierter Integrationsminister in Düsseldorf, möchte in Stamp den Landeschef der FDP und also seine bürgerliche Koalition stabilisieren. Laschet intoniert sein wurstiges Rechtsverständnis mit frohem, rheinischem Akzent. Es klingt unbeschwert, wenn dieser frühere Messdiener mit dem Zweck die Mittel heiligt: Man solle doch "im Ergebnis froh sein", dass der Gefährder außer Landes sei, sprach der Ministerpräsident im Juli. Da wusste er längst, wie sein Minister Gerichte und Rechtsstaat ausgetrickst hatte.

Es ist dieser Opportunismus der Landesmacht, der Nordrhein-Westfalens höchste Richterin Ricarda Brandts vorige Woche warnen ließ, man möge in Düsseldorf bitteschön nicht weiter "die Grenzen des Rechtsstaats austesten".

Sami A. ist nicht der einzige Fall, in dem der Politiker Laschet den Rechtsausleger spielt. Beispiel Fahrverbote: Kaum hatte das Bundesverwaltungsgericht Ende Februar geurteilt, Straßensperren für Diesel seien in Ausnahmefällen zulässig, um Anwohner vor Stickoxiden zu schützen - schon ließ der Regierungschef wissen, wie der Richterspruch an Rhein und Weser zu deuten sei. Weil er Fahrverbote für "unverhältnismäßig" und "also rechtswidrig" halte, werde er jede Landesbehörde notfalls anweisen, das genauso zu sehen. Prompt erteilte ihm die Jurisprudenz erneut Nachhilfe, ausgerechnet in seiner Heimatstadt: Aachen, wo Laschet 1989 mit 28 Jahren als jüngster Ratsherr seine Einschulung in die politische Klasse erlebte, muss laut einem Urteil von 2019 an wohl Dreck-Diesel aussperren. Ein Düsseldorfer Gericht prüft noch, ob es gegen Laschet ein Zwangsgeld verhängt.

Et kütt wie et kütt, sagt man im Rheinland. Für den Halbjuristen im Vollblutpolitiker Laschet heißt das: Er liest das Recht wie ein Gast im Wirtshaus das Menü - à la carte. Diese hemmungslose Flexibilität schützt ihn bisweilen selbst: Als die Polizei im Frühjahr einen Hackerangriff auf eine angeschlagene Ministerin vermutete, ließ Laschet die Staatskanzlei Alarm schlagen und über "offenkundig kriminelle Eingriffe" schwadronieren. Dass am Ende nichts dran war an der Affäre, verschwieg er wochenlang, angeblich um nicht einzugreifen in ein "laufendes Ermittlungsverfahren". Der jähe Respekt vor dem Recht, auch dieses Mittel dient manchmal dem Zweck.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2018
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