Süddeutsche Zeitung

Nordkorea:Kim Jong-un will mehr Atomwaffen

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Schon bevor 2023 richtig angefangen hat, ist klar: Das Regime in Pjöngjang wird nicht friedlicher. Die Regierungen in Seoul und Tokio verschaffen ihm ein Alibi zur Aufrüstung.

Von Thomas Hahn, Tokio

Eine Neujahrsansprache brauchte Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un dieses Jahr nicht. Er hatte ja schon zum Abschluss der sechstägigen Arbeiterpartei-Vollversammlung am Silvestertag eine lange Rede gehalten. Und dabei hatte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA ausreichend deutlich erklärt, dass die Welt auch 2023 mit einem Nordkorea zu rechnen habe, das aufrüsten will. "Exponentiell steigern" wolle er die Produktion von Atomwaffen, sagte Kim Jong-un. Er kündigte ein neues ballistisches Interkontinentalraketen-System mit "schneller nuklearer Gegenschlagfähigkeit" an, außerdem "in Kürze" den ersten militärischen Aufklärungssatelliten der nationalen Raumfahrtbehörde. Tags zuvor hatte Kim gesagt, Nordkoreas Militär müsse 2023 seine "Vorbereitungen zur Mobilisierung für den Krieg" verbessern.

Der Nordkorea-Konflikt wird also nicht besser im neuen Jahr. Kein Wunder eigentlich, denn die freiheitlichen Allianzpartner Südkorea, Japan, USA haben in den vergangenen Monaten auch nicht gerade den Eindruck erweckt, als wollten sie sich für den Frieden auf Kompromisse mit Nordkoreas autoritärer Regierung einlassen.

Am Montagmorgen heißt es aus Südkorea, dass das Land mit den USA plane, die gemeinsamen militärischen Übungen um US-Atomwaffen zu erweitern. "Die Nuklearwaffen gehören den Vereinigten Staaten, aber Planung, Informationsaustausch, Übungen und Ausbildung sollten von Südkorea und den Vereinigten Staaten gemeinsam durchgeführt werden", sagte der südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol der Zeitung Chosun Ilbo. Die Regierung in Washington stehe dieser Idee "sehr positiv" gegenüber.

Als Reaktion auf derlei südkoreanisch-amerikanische Militärbewegungen verkauft Kim Jong-un sein Bekenntnis zur Aufrüstung. Dabei hat sein Regime 2022 von Anfang an so viele Testraketen in die Meere um die koreanische Halbinsel geschossen, dass Amerikaner und Südkoreaner gar nicht anders konnten, als ihre Defensive bei umfassenden Militärübungen zu erproben sowie den Süden besser gegen mögliche Angriffe abzusichern. Und im neuen Jahr macht Nordkorea gleich weiter mit dem Feuer: Südkoreas Militär meldete am Sonntag, dass am sehr frühen Morgen eine Kurzstreckenrakete aus Pjöngjang nach etwa 400 Kilometern Flug ins Ostmeer gestürzt sei.

Japan verschärft seine Sicherheitsstrategie

Aber wahr ist auch, dass die konservativen Regierungen in Seoul und Tokio Kim Jong-un mittlerweile ein Alibi geben, das er für seine Propaganda nutzen kann. Südkoreas konservativer Präsident Yoon Suk-yeol, seit Mai 2022 im Amt, setzt in seiner Nordkorea-Politik vor allem auf Abschreckung. Annäherung will er allenfalls nach seinen Bedingungen. In seiner sogenannten "kühnen Initiative" bietet Yoon Hilfen für den Lebensunterhalt der Menschen in Nordkorea gegen bedingungslose Gespräche über die Denuklearisierung.

Auf Kim Jong-un wirkt das wie eine Aufforderung zur Unterordnung. Der Dialog zwischen den beiden Koreas wirkt deshalb gerade unmöglich. "Wir hassen Yoon Suk-yeol", antwortete Kim Jong-uns Schwester und Propaganda-Beauftragte Kim Yo-jong im August auf Yoons Plan. In seiner Silvesterrede nannte Kim Jong-un Südkorea den "unzweifelhaften Feind". Unter Yoons Vorgänger, dem liberalen, zum Ausgleich entschlossenen Moon Jae-in, war die Stimmung weniger feindlich.

Japan wiederum hat im Dezember seine Sicherheitsstrategie so sehr verschärft, dass Kritiker einen Verstoß gegen die pazifistische Verfassung wittern. Japans Rüstungsetat soll bis 2027 von ein auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Außerdem funktioniert die Landesverteidigung in Zukunft mit der Fähigkeit zum Präventivschlag. Diese sogenannte Counterstrike-Capability sieht vor, dass Japan auf den Feind schießen kann, wenn dieser einen Angriff vorbereitet. Grund: Chinas Ambitionen, aber ausdrücklich auch die nordkoreanische Aufrüstung. Die USA applaudierten der neuen Ausrichtung.

Kein Experte rechnet vorerst mit einer Aggression des Regimes in Nordkorea

Auch Nordkorea erklärt immer wieder, dass seine Waffen nur der Landesverteidigung dienen würden. Kim Jong-un schützt damit seine Alleinherrschaft. Tatsächlich rechnet vorerst kein Experte mit einer Aggression des Regimes. Zumal Kim Jong-un wohl nicht ganz unbeeindruckt war von den jüngsten Mahnungen aus Süd- und Fernwest. Südkorea- und US-Geheimdienst rechneten 2022 mit einem unterirdischen Atomwaffentest Pjöngjangs. Ein solcher würde Nordkoreas nukleare Waffentechnik weiterbringen. Aber der Test kam nicht.

Vielleicht 2023? Auf Frieden mit dem Bruderstaat ist Nordkoreas Außenpolitik jedenfalls vorerst nicht ausgerichtet. Und Kim Jong-un passt auch nach innen auf, dass er das Militär unter Kontrolle hält. Personalwechsel in den Parteistrukturen erhalten in Kims Welt die Treue zu seiner Dynastie. Vermutlich erlebt der ehemals gepriesene Pak Jong-chon, Volksarmee-Marschall und Präsidiumsmitglied des Politbüros, deshalb wieder eine Versetzung. Der bisherige Verteidigungsminister Ri Yong-gil ersetzt Pak als Parteisekretär für militärische Operationen und Vizechef der Zentralen Militärkommission. Kim Jong-un scheint seine Funktionäre im Griff zu haben.

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