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Neuer US-Präsident:Wie Twitter-Präsident Trump Themen setzt

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Er lenkt ab, provoziert und startet am frühen Morgen Diskussionen: Auch nach dem Wahlsieg nutzt Donald Trump Twitter und treibt die Medien vor sich her. Wie sollen diese darauf reagieren?

Von Matthias Kolb, Washington

Das Thema ist perfekt für den konservativen TV-Sender Fox News. Nach Donald Trumps Wahlsieg verbrannten Studenten an einem College in Massachusetts die US-amerikanische Flagge. Die Uni beschließt daraufhin, die Stars and Stripes-Fahne nicht mehr wehen zu lassen. Hunderte Veteranen und Konservative protestieren dagegen. An einem Dienstagmorgen, um kurz nach halb sieben, berichtet dann "Fox and Friends" über die Fahnen-Kontroverse - und um 6:55 Uhr verschickt @realDonaldTrump folgenden Tweet.

Wer die Flagge verbrennt, so Trump, müsse bestraft werden: entweder mit Gefängnis oder dem Entzug der Staatsbürgerschaft. Sofort beginnt die Maschinerie zu rattern: Kabelsender und News-Websites berichten über den Tweet. Weiß der künftige Präsident nicht, dass es die im Ersten Verfassungszusatz garantierte Meinungsfreiheit erlaubt, die US-Flagge zu verbrennen? Kennt Trump die Urteile des Verfassungsgerichts nicht oder ignoriert er sie bewusst?

Bei CNN, MSNBC und Fox News spekulieren Dutzende talking heads, von Professoren über Reporter bis hin zu Ex-Politikern, drauf los - und tun genau das, was Trump am meisten liebt. Sie reden über ihn und rätseln, was er damit bezwecken wollte. Doch die Frage nach dem Einzeltweet geht in die falsche Richtung - mit seinen Kurznachrichten erreicht der 70-Jährige, dessen Follower-Zahl nun 16,7 Millionen beträgt, viele Ziele.

Er setzt Themen. Der Flaggen-Tweet war am vergangenen Dienstag nicht der einzige, mit dem Trump die Nachrichten-Agenda diktierte. Via Twitter teilte er mit, dass 800 Jobs in Indiana gerettet wurden, die nach Mexiko verlagert werden sollten ( mehr zur Symbolik der Carrier-Jobs). Am Sonntagmorgen drohte er in sechs Tweets US-Firmen, die an Abwanderung denken, mit einem Strafzoll von 35 Prozent. Dies sei nur eine Warnung an die Unternehmen, keinen "teuren Fehler" zu machen. Auch hier folgt das alte Spiel: In allen Talkshows wird über Trumps Plan und dessen Durchsetzbarkeit geredet. Ähnlich ist es mit dem Tweet, in dem Trump Boeing damit droht, den Auftrag für die neue Air Force One zu entziehen.

Er hält seine treuesten Fans bei Laune. Bisher hat Trump mehrere Milliardäre ins Kabinett geholt, daneben typische Washington-Insider wie Transportministerin Elaine Chao. Das passt nicht ganz zur populistischen Ankündigung, in der US-Hauptstadt "den Sumpf trockenzulegen", aber bisher sind ihm die meisten seiner Wähler treu. Mit Tweets zu Themen wie der brennenden Flagge versichert er seiner Basis, dass er an seiner "America First"-Politik festhält und weiter für sie kämpft. Einwände von Juristen oder das Kopfschütteln liberaler Kommentatoren über den Bald-Präsidenten sehen Trump-Fans als übertriebene "political correctness". Durch seine Tweets kann er sich außerdem weiter als Opfer der "unfairen Medien" präsentieren: Wenn diese "korrekt und ehrenvoll" über ihn berichten würden, dann hätte er keinen Grund, sich so oft bei Twitter zu äußern.

Er gibt Rätsel auf. Im Wahlkampf versprach Trump stets, als Präsident "unberechenbar" zu sein. In 140 Zeichen Text bleibt viel Raum für Interpretation. Was bedeutet das Lob ("unglaublich beeindruckt") für einen Politiker, den er für einen Kabinettsposten im Auge hat? Trumps Timeline bleibt rätselhaft bunt: Er selbst oder sein Team versenden staatsmännische Tweets, in denen er den Opfern von Feuern und Stürmen alles Gute wünscht; er verkündet Personalentscheidungen; wirbt für TV-Sendungen über ihn - und dann attackiert er die Satire-Show Saturday Night Live und sein Double Alec Baldwin.

Die Reaktion auf den Tweet zeigt im Miniaturformat, wie gespalten die Amerikaner sind: Die eine Hälfte ist entsetzt, dass Trump überhaupt Zeit für so etwas hat und so dünnhäutig ist - die andere Hälfte (jene Minderheit, die ihn zum Präsidenten machte) findet es gut, dass sich der 70-Jährige nicht alles gefallen lässt .

Er gewinnt Zeit und lenkt ab. Kaum ein Thema beschäftigt Medien und Opposition so sehr wie die vielen Interessenkonflikte, die sich aus den Geschäftsinteressen der Familie Trump ergeben ( Überblick hier). Wird Trump Vermögen verkaufen, gibt es einen blind trust (dann können seine Kinder nicht die Geschäfte weiterführen) oder beharrt er auf dem Standpunkt, als Präsident könne er gar nichts Illegales tun? Details fehlen, aber die Trump-Kampagne muss keine Frage beantworten: Via Twitter wurde eine Pressekonferenz für den 15. Dezember angekündigt. Ein anderes Beispiel für die Ablenkung: Kaum hatte er eingewilligt, 25 Millionen Dollar im Rechtsstreit um seine Pseudo-"Trump University" zu zahlen, beschwerte er sich bei Twitter darüber, dass Vize Mike Pence von den "Hamilton"-Schauspielern kritisiert wurde. Alle Medien ( auch die SZ) berichteten - und die Trump University verschwand aus den Schlagzeilen.

Er lässt Dampf ab. Mit Instinkt und Impulsivität hat es Donald Trump ins Weiße Haus geschafft und offenbar will er nichts ändern. Bizarr, aber wahr: Unter @realDonaldTrump lässt sich die Stimmungslage des bald mächtigsten Manns der Welt beobachten, der vor allem bewundert werden will. Also schreibt er "Taiwans Präsidentin RIEF MICH AN", nachdem Diplomaten weltweit über seine Telefon-Diplomatie rätseln, äußert sich abfällig über politische Konkurrenten oder retweetet böse Kommentare über unliebsame Journalisten.

Bisher haben die amerikanischen und ausländischen Journalisten noch keine klare Haltung gefunden, wie sie mit dem Twitter-Präsidenten Trump umgehen sollen. Die Frage, ob jeder Tweet nicht an sich Nachrichtenwert hat - eben weil er vom künftigen Präsidenten kommt -, wird vielfach diskutiert ( ein Überblick hier).

Forderung an Medien: Behauptungen und Lügen als solche identifzieren

Das Bewusstsein, dass Donald Trump und sein Team die Medien instrumentalisieren, ist bei den allermeisten (Reportern, Journalisten, Redakteuren) vorhanden. Andererseits: In den USA ist es üblich, dass in sogenannten "Pool Reports" jede Bewegung des Präsidenten berichtet wird - im Fall von Obama beinhaltet das seine Golfpartner oder den Namen jener Lokale, die er mit Freunden besucht.

Momentan scheint es Konsens zu sein, jeden einzelnen Tweet zu prüfen und von Fall zu Fall zu entscheiden. "Nur weil er twittert, ist es noch keine Nachricht. Aber nur weil er etwas über Twitter bekannt gibt, macht es dies nicht albern", bilanziert Matthew Purdy von der New York Times.

Eine eindeutige Meinung vertritt Jack Shafer, der Medienkolumnist von Politico. Natürlich müsse über die Tweets berichtet werden, aber mit klarer Haltung und den Fakten verpflichtet. "Wenn Trump etwas behauptet, das nicht stimmt, dann ist das eine Nachricht. Aber wir Journalisten müssen berichten, dass und wie er lügt - und ständig erwähnen, von welchem wichtigen Thema er ablenken will." So berichtete die Washington Post über Trumps faktenfreie Behauptung, es habe massiven Wahlbetrug gegeben, unter der Überschrift: "Trump verbreitet Verschwörungstheorie".

Shafer fordert deshalb in seinem sehr lesenswerten Artikel: "Bringt den Troll zum Verhungern." Denn wenn Trump seine Ziele nicht mehr erreichen kann, wird er weniger twittern.

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