Süddeutsche Zeitung

Neonazis:NPD zerlegt sich, AfD freut sich

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Von Jan Bielicki

Zwei Kandidaten waren angetreten, die beiden wurden prompt gewählt - obwohl oder weil sie der NPD angehörten. Noch bei der Stadtratswahl vor zwei Jahren stand Bautzen für die beunruhigend tiefe Verwurzelung der rechtsextremen Partei in weiten Teilen Ostdeutschlands. Und bei der Landtagswahl im Sommer 2014 hatte die NPD in und um die ostsächsische Stadt gegen den landesweiten Trend zulegen können, obwohl auch die AfD hier Stimmen abräumte. Doch das war auch schon der Beginn eines absturzgleichen Niedergangs für die Neonazi-Partei. Nachdem sie den Wiedereinzug in den Landtag ganz knapp, aber eben doch verpasst hatte, zerlegte sich ihr Bautzener Kreisverband; heute stellt sie nach einer Austrittswelle keinen einzigen Stadtrat mehr, im lokalen Kreistag sieht es ähnlich aus.

Aber nicht nur in Sachsen hat die Partei, die bis vor Kurzem noch das Zentrum des organisierten Rechtsextremismus war, geradezu schlagartig an Stimmen und Zulauf verloren. Bei den Wahlen vor zwei Wochen flog sie auch in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Landtag und verlor damit nach Sachsen auch ihre letzte Vertretung in einem Landesparlament. Nichts hatte es den Extremisten geholfen, dass gerade das Thema, von dem sie immer profitierten, den Wahlkampf bestimmt hatte: Die Ressentiments gegen Flüchtlinge und Fremde, von der NPD auf Aberhunderten Plakaten geschürt, kommen nun der bei besorgten Bürgern offenkundig eher vorzeigbaren Konkurrenz von der AfD zugute. Thüringens AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, so klagte ausgerechnet der Ex-NPD-Vorsitzende Udo Pastörs, "fischt mit seinen Reden irgendwo am rechten Rand ab".

Kräfteverschiebung im Rechtsaußen-Spektrum

Aber der Aufstieg der AfD ist nur ein Teil der großen Kräfteverschiebung im Rechtsaußen-Spektrum. Seit die NPD mit ihren Parlamentsmandaten auch staatliche Zuschüsse und vom Staat bezahlte Posten verloren hat, sehen auch aktionsorientierte und gerne gewaltbereite Neonazis keinen Grund mehr, sich an diese Partei zu binden. Führende Vertreter der rechtsextremen Kameradschaftsszene wie der Sachse Maik Scheffler oder der Hamburger Thomas Wulff gaben ihre Parteibücher ab. Manche der Kameraden haben sich neuen Splitterparteien wie "Die Rechte" oder "Der III. Weg" angeschlossen, andere organisieren sich über das Internet oder soziale Medien.

Das macht diese gewaltbereiten Rechtsextremisten nicht weniger gefährlich. In München etwa stehen derzeit drei Männer und eine Frau vor Gericht, die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, eine terroristische Vereinigung gebildet und Anschläge auf Flüchtlingsheime vorbereitet zu haben - unter anderem mit zu Nagelbomben umgebauten Böllern großer Sprengkraft. Vermutlich ins Auge gefasster Tatort: Borna in Sachsen.

Auch wenn Gewalt gegen Flüchtlinge im Osten deutlich öfter vorkommt als im Westen, ist sie doch ein bundesweites Problem: In diesem Jahr hat das Bundesinnenministerium bis Mitte September 726 Straftaten gegen Asylunterkünfte registriert, 670 davon rechnen die Ermittler Rechtsextremisten zu, 123 davon waren Gewalttaten, 56 Mal wurden an Flüchtlingsheimen Brände gelegt. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 zählten die Behörden insgesamt 1031 solcher Delikte.

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Quelle:
SZ vom 16.09.2016
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