Süddeutsche Zeitung

Nahost-Konflikt:Teufelskreis der Gewalt

Lesezeit: 4 min

Tote und verletzte Menschen, zerstörte Häuser, begrabene Hoffnungen: Die Folgen des Acht-Tage-Krieges zwischen der Hamas und Israel sind dramatisch. Trotzdem hat sich an der politischen Situation nicht das geringste geändert. Warum der Konflikt im Nahen Osten die ganze Welt etwas angeht - und wie ein Weg zum Dialog aussehen könnte.

Peter Münch

Die Waffen schweigen, der Krieg ist vorbei, und die Sieger auf allen Seiten lecken sich die Wunden. Acht Tage des Raketenfeuers und des Bombenhagels rund um den Gazastreifen haben mehr als 160 Menschenleben gekostet, mehr als tausend Verletzte hinterlassen, Traumata ausgelöst, Häuser zerstört, Hoffnungen begraben - und das Beste, was dabei herauskommen konnte, war eine Waffenruhe. Das Ergebnis des Kriegs also ist die Wiederherstellung des Status quo ante, die Rückkehr zu denselben Vereinbarungen, die bereits nach dem Krieg zur Jahreswende 2008/09 getroffen worden waren. Nichts kann den Wahnsinn dieser immer neuen Waffengänge besser verdeutlichen.

Doch der Wahnsinn hat Methode. Selbst wenn jeder weiß, dass langfristig so nichts zu gewinnen ist, geht der Tanz im Teufelskreis immer weiter. In den mehr als sechs Jahrzehnten dieses Dauerkonflikts hat sich das Muster eingeschliffen, dass periodisch die Kräfteverhältnisse getestet und neu justiert werden müssen. Das Motto auf beiden Seiten lautet dabei: Wenn es mit Gewalt nicht geht, dann versuchen wir es eben mit noch mehr Gewalt. Von Lösungsmodellen wird höchstens noch im esoterischen Kreis der Vermittler geträumt. Den Konfliktparteien geht es allein um die Summe kleiner Siege, selbst wenn Pyrrhus dafür Pate steht.

So gesehen ist es zwar pervers, aber wahr, dass beide Seiten in diesem Acht-Tage-Krieg, der in die Geschichtsbücher wohl höchstens als Fußnote eingehen wird, ihre Ziele erreicht haben. Im Gazastreifen lässt die Hamas sich nun auf Trümmern dafür feiern, dass sie nicht kapituliert hat vor dem übermächtigen Gegner. Der Widerstand lebt - oder zumindest wird er wieder aufleben bei nächster Gelegenheit.

Auf der anderen Seite der Front kann Premierminister Benjamin Netanjahu stolz verkünden, dass die Menschen in Israel nun wieder ohne Raketenbedrohung aus dem Gazastreifen leben können, weil die Feinde von der Hamas erheblich geschwächt wurden durch die Zerstörung ihrer Waffenlager, ihrer Regierungsgebäude und ihrer Polizeistationen. Die Palästinenser wissen nun wieder, wie hoch der Preis ist für die Provokation.

Israel nährt seine Feinde mit jedem Kampf

Doch Abschreckung ist keine Strategie. Abschreckung bringt höchstens Zeitgewinn - und wer glaubt, dass dies im Jahre 2012, im Spätherbst nach dem arabischen Frühling, immer noch ein probates Konzept ist, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Wenn sich der Pulverdampf gelegt hat, wäre es also dringend geboten, dass Israel ein paar Lehren zieht aus dieser jüngsten Runde der Gewalt. Denn auch wenn sich alles abgespielt hat nach den alten Mustern, so ist doch deutlich geworden, dass dieses Muster ohne Wert ist für die Zukunft.

Zum einen kann in Israel niemand mehr an der Erkenntnis vorbeikommen, dass der periodisch besiegte Feind unter dem Strich in jeder Runde der Gewalt stärker wird. In der ersten palästinensischen Intifada wurden Steine geworfen, in der zweiten sprengten sich Selbstmord-Attentäter in die Luft. Im Gazakrieg von 2008/09 flogen schon die Raketen, doch die selbstgebauten Qassam-Geschosse versetzten damals nur den Süden Israels in Angst und Schrecken. Dieses Mal erreichten Fadschr-5-Raketen iranischer Bauart bereits Tel Aviv und Jerusalem. Im nächsten Krieg könnten die fortentwickelten Modellreihen dann vielleicht allen Raketenabwehrsystemen zum Trotz schon besser treffen. Es ist ein Rüstungswettlauf, den niemand gewinnen kann.

Ebenso beunruhigend und paradox ist die Erkenntnis, dass Israel mit jedem Kampf seine Feinde nährt und sich immer neue, immer radikalere Gegner schafft. Früher hatte es die Regierung in Jerusalem allein mit der von Jassir Arafat gegründeten Fatah zu tun, die heute unter dem Präsidenten Mahmud Abbas für einen auch vom Westen unterstützten moderaten Kurs steht.

Doch Abbas wird von Israel seit Jahren schon links liegen gelassen, die ganze Konzentration gilt dem Konflikt mit der Hamas. Die aber nutzt die Gelegenheit, sich dem palästinensischen Volk als einzige Kraft des Widerstands zu präsentieren. Das Ergebnis: Spätestens nach diesem Krieg steht die Hamas als bestimmender Faktor im palästinensischen Lager fest. Und falls Israel tatsächlich einmal auf die Idee kommen sollte, die Hamas zerschlagen zu wollen, dann lauern schon neue Gruppierungen darauf, das Vakuum zu füllen: Salafisten und al-Qaida-treue Dschihadisten.

Doch die Hamas wird so schnell nicht verschwinden, weil sie nicht isoliert bekämpft werden kann. Sie ist Teil jener islamistischen Welle, die zumindest die erste Phase des arabischen Wandels dominiert. Sie genießt nun die Unterstützung Ägyptens, Katars und auch der Türkei, sie beflügelt die Hoffnungen und befeuert die Wut der arabischen Massen. Kurzum: Die Hamas ist weit stärker, als es ihre durchaus klägliche Präsenz im Gazastreifen erscheinen lässt. Im Umkehrschluss bedeutet dies für Israel, dass schon beim nächsten Mal ein Kampf gegen die Hamas in Gaza sehr schnell eskalieren könnte zu einem Regionalkonflikt.

Aus dieser Analyse führt nur ein Weg nach vorn: Statt sich für die nächste Runde der Gewalt zu rüsten, müssen Wege zum Dialog gefunden werden. Neuland ist ja auch das nicht: Vor den Oslo-Friedensverträgen von 1993 verhandelte Israel insgeheim mit der PLO, obwohl die damals, genauso wie heute die Hamas, als Terrororganisation verfemt war. Im Zweifel gilt die alte Weisheit, dass man Frieden nicht mit seinen Freunden, sondern mit seinen Feinden schließen muss. Klar ist allerdings auch, dass Israel und die Hamas diesen Weg nicht ohne Hilfe - und auch nicht ohne Druck - von außen einschlagen können. Dazu sind beide zu sehr gefangen im Kreislauf der Gewalt. Und die jüngste Vereinbarung zur Waffenruhe hat gezeigt, woher Druck und Hilfe kommen könnten: vom ungleichen Doppel aus Kairo und Washington.

Am Verhältnis dieser beiden Mächte entscheidet sich gewiss weit mehr als nur der Fortgang des israelisch-palästinensischen Konflikts. Hier geht es um den Ausgleich zwischen der westlichen und der neuen arabischen Welt. Aber die nahöstliche Dauerfehde ist nun durch das gemeinsame Eingreifen der USA und Ägyptens zum Testfall geworden, ob ein solcher Ausgleich gelingen kann. Dies allein sollte also für großen Druck und neue Bewegung sorgen, schließlich werden die Partikularinteressen zweier in ihren Konflikt verbissener Kleinvölker jetzt überlagert vom globalen Interesse. Doch neben einer Chance birgt dies natürlich auch ein großes Risiko: Wenn Israelis und Palästinenser nicht aus ihren alten Mustern ausbrechen, könnte den Schaden bald die ganze Welt zu tragen haben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1531930
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.11.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.