Süddeutsche Zeitung

Nach Lafontaine-Rücktritt:Der Kern der Linken

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Linke-Mitschöpfer Lafontaine hinterlässt mit seinem Rücktritt eine Partei, die von ihrem Zenit aus abwärts schaut. Doch für die SPD kommt der Abgang des Rächers zu spät.

Daniel Brössler

Zu den Fehlern in der Politik, die sich normalerweise nicht wiedergutmachen lassen, gehört der schlechte Abgang. Das letzte Bild bleibt in Erinnerung. Jenes vom aufgekratzt der Wirklichkeit entrückten Gerhard Schröder am Abend der Bundestagswahl 2005 ebenso wie das des plötzlichen Privatiers Oskar Lafontaine, wie er sich im März 1999 mit dem Sohn auf den Schultern im Fernsehen zeigt.

Lafontaine aber ist eine Ausnahmefigur der deutschen Politik, und so hat er sich jene zweite Chance auf einen würdigen Abschied erarbeitet, die anderen verwehrt bleibt. Der Mitschöpfer der Linkspartei gibt ihre Führung auf. Nicht überstürzt, sondern nach reiflicher Überlegung. Nicht aus Wut und Enttäuschung, sondern, wie er sagt, aus gesundheitlichen Gründen, die respektiert werden müssen. Seine Flucht von 1999 kann Lafontaine nicht ungeschehen machen. Von wesentlicher Bedeutung aber ist, dass er sie nicht wiederholt.

Existenzbedrohende Probleme

Wie vor zehn Jahren die SPD, steht nun die Linkspartei vor der Frage, was aus ihr wird. Sie stellt sich ihr sogar in dramatischer Schärfe, weil Lafontaine den Markenkern nicht nur wesentlich bestimmt hat, sondern weil er selbst ein Teil von ihm ist. Ohne den Saarländer würde es die Linke in dieser Form nicht geben. Eine Galionsfigur vom Schlage Lafontaines war notwendig, damit aus der ostdeutschen Regionalpartei PDS und der westdeutschen Protest-Sammelbewegung Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) eine bundesweite Kraft werden konnte.

Ohne den Frust über Schröders Agenda-Reformen, ohne die Ermüdung der SPD und eine gemeinsame Anti-SPD-Stimmung in Ost und West hätte auch Lafontaine keine Partei formen können, die zur viertstärksten im Lande geworden ist. Naiv ist insofern der Glaube, mit Lafontaine werde nun auch die Linke verschwinden und das Parteiensystem zu alter Übersichtlichkeit zurückkehren.

Wahr ist indes, dass die Linke vor einer Vielzahl von Problemen steht, die in ihrer Gesamtheit sehr wohl existenzbedrohend wirken. Vor allem ist aus der vereinigten eben noch keine einige Partei geworden. Gravierender als die politischen Differenzen wirkt die kulturelle Kluft. In den Augen des ostdeutschen Genossen wird der westliche Weltverbesserer zum Spinner, der wackere Westlinke fühlt sich im Osten umgeben von Spießern.

In der jungen Partei werden mit Inbrunst alte Feindschaften gepflegt, Strömungen und Zirkel bekämpfen einander aufs Blut. Der schmutzige Machtkampf um den nun scheidenden Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch bescherte der Linken einen Blick in den Abgrund.

Auch strategisch steht die Partei nun zumindest vor einer großen Herausforderung. Sie hat bisher gut gelebt von dem Preis, den die SPD dafür zu bezahlen hatte, dass sie - in wechselnden Regierungen - soziale Einschnitte mitbeschloss. Nun aber regieren die Sozialdemokraten nicht mehr, weshalb sie einer natürlichen Links-Drift unterliegen. Das zwingt die Linkspartei, ganz im Sinne Lafontaines, zu einer aggressiven Positionierung.

Dies wiederum erschwert ihr im Osten das Geschäft, wo sie - wie in Brandenburg - an der Macht auch einem Personalabbau im öffentlichen Dienst zustimmt. Der Streit über Wunsch und Wirklichkeit wird in der anstehenden Debatte über ein Grundsatzprogramm erbittert geführt werden und die Anziehungskraft auf Wähler nicht stärken.

Und die SPD? Für sie, die den Abgang des Rächers Lafontaine herbeigesehnt hat, kommt dieser zu spät. Sie ist so tief gefallen, dass eine Schwächung der Linkspartei nur eine kleine Hilfe verspricht, nicht aber die große Rettung.

Es spricht dennoch nichts dagegen, wenn die Parteien links von Schwarz-Gelb nun ihrer Phantasie freieren Lauf lassen. Die Zeit beleidigter Sprachlosigkeit ist vorbei. Wenn die SPD sich von den Linken abgrenzen will, muss sie es inhaltlich tun. Gleichzeitig wird sie, will sie je wieder einen Kanzler stellen, mit ihnen auch Gemeinsamkeiten suchen müssen.

Eigene Zugewinne werden der SPD nichts nützen

Theoretisch bleibt der SPD die Hoffnung, dass Gregor Gysis Truppe sich zerlegt. Die Hoffnung wäre verständlich, aber kurzsichtig. Auch Sigmar Gabriel wird die SPD auf Dauer nicht von der Mitte bis sehr weit links spreizen können. Suchen die Sozialdemokraten ihr Heil am Rand, droht ihnen Unheil in der Mitte.

Die eine linke Volkspartei ist Geschichte, westdeutsche Geschichte. Zumindest auf absehbare Zeit besteht die einzig denkbare Mehrheit jenseits von Union und FDP aus drei Teilen. Gelassen können die Grünen abwarten, ob es dazu kommt. Sie werden eines Tages wieder regieren - sei es mit den Schwarzen oder mit Rot-Rot.

Die Wahlfreiheit der Grünen zwingt die SPD geradezu, auch in der Linken den potentiellen Partner zu suchen. Eigene Zugewinne werden der SPD nichts nützen, wenn es insgesamt nicht für ein Dreierbündnis reicht. Obschon es in den Ohren sozialdemokratischer Genossen absurd klingen mag: Die SPD muss sich deshalb trotz der eigenen Schwäche auch noch Gedanken machen über den Zustand der Linkspartei. Und der gibt in der Tat Anlass zur Sorge. Lafontaine hinterlässt kein gut bestelltes Feld, sondern eine Partei, die von ihrem Zenit aus abwärts schaut.

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SZ vom 25.01.2010
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