Süddeutsche Zeitung

Myanmar:Die Generation Y leistet Widerstand

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In Myanmar sind vor allem die Jungen nicht bereit zu akzeptieren, dass nach dem Putsch eine Militärregierung ihre Zukunft bestimmt. Daher werden sie gezielt verfolgt.

Von David Pfeifer, Bangkok

"Ich kann nicht lügen", sagt Soe Thet Puy, 24, und lacht. Als Anwalt würde ihm das in einigen Ländern die Arbeit erschweren - in Myanmar wäre sie derzeit unmöglich. Scheinprozesse sind an der Tagesordnung, Polizei und Gerichte arbeiten mit dem Militär zusammen, das sich in der Nacht zum 1. Februar 2021 wieder an die Macht geputscht hat. Soe Thet Puy war damals bereits fertig mit seinem Studium, hat aber bislang sein Diplom nicht abgeholt, weil es dann zu dem Coup kam. "Den Professoren, die jetzt noch an der Uni sind, traue ich nicht" sagt er.

Soe Thet Puy hat sich, wie viele junge Birmanen der sogenannten Generation Y in Myanmar, dem Widerstand verschrieben. Viele greifen zur Waffe, einige fliehen außer Landes, versuchen nach Indien oder Thailand zu gelangen, aber Soe Thet Puy hat nicht mal einen Pass. "Ich will auch keinen machen lassen, das wäre ja wieder Geld für das Regime. Wieder eine Kugel bezahlt, die auf einen von uns abgefeuert wird."

Die Bevölkerung im Land wächst, in den Jahren von 2000 bis 2022 hat sie von etwa 45 auf 54 Millionen Einwohner zugelegt, das Durchschnittsalter liegt bei knapp 30 Jahren. Wer nach 2000 geboren wurde, kennt die finsteren Zeiten der Militärherrschaft nicht mehr aus eigenem Erleben. Die jungen Frauen und Männer, vor allem die gebildeten, haben die Generäle nur als Kleptokraten erlebt, die verhindern und bei allem mitkassieren. "Wir wollen die nicht mehr", sagt auch Soe Thet Puy. "Nicht mehr in der Regierung und nicht mehr im Land." Das wird schwierig werden, hat doch das Militär mehr als 400 000 aktive Soldaten. Geschätzte zwei Millionen Menschen hängen direkt am Versorgungsapparat, arbeiten als Lehrer an Militär-Schulen oder als Ärzte in Militär-Krankenhäusern.

Viele Soldaten und Polizisten drehen der Junta den Rücken zu

Freilich wächst auch die Zahl der Deserteure täglich. Mehr als 10 000 Soldaten sind schon von der Fahne gegangen, berichtet das "National Unity Governement" (NUG), die Schattenregierung, die Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi weiter als gewählte Regierungschefin führt. Noch mal so viele Polizisten haben laut NUG den Dienst quittiert. Und viele Soldaten arbeiten so ineffektiv oder langsam, dass es an Befehlsverweigerung grenzt. Die Führungsoffiziere werden rasch ausgetauscht, damit niemand zu lange in Kontakt mit der örtlichen Bevölkerung bleibt, dort Ablehnung spürt oder sogar umgedreht werden könnte. "Aber die meisten haben Angst um ihre Familien", sagt Soe Thet Puy.

Bei ihm ist es umgekehrt, da sorgen sich die Familien um ihn und seine Freunde. Am 29. April wurden eine Freundin und ein Freund festgenommen, der Verdacht: Finanzierung einer PDF, einer "Peoples Defense Force". So nennen sich die kleinen Einheiten bewaffneter Widerständler, die manchmal nur zehn Personen umfassen. Sie üben Krieg mit Holzgewehren und basteln sich ihre Raketenwerfer selber. Insgesamt sind es mittlerweile mehr als 300 im Land, und sie fügen dem Militär Schaden zu.

Mit dem Geld, das Soe Thet Puy und seine Freunde im In- und Ausland einsammeln, finanzieren sie Nahrung, sowie Waffen und Munition. Die drei jungen Leute kommen aus Ye, einer Stadt im Mon-Staat. Sie haben auf Facebook um Spenden geworben. Wenn diese per internationalem Zahlungs-Transfer auf einem Mobilfunk-Konto landeten, mussten sie das Risiko eingehen, das Geld bar in einem Laden abzuheben, wo man sonst seine Telefonkarte aufladen oder eine neue Handy-Hülle kaufen kann. "Nicht mehr als 500 Dollar pro Abhebung, sonst wäre es zu auffällig gewesen" erzählt Soe Thet Puy. Wieso die drei Freunde trotzdem ins Visier der Polizei geraten sind, kann er sich nicht erklären. Vielleicht hat sie jemand gesehen, vielleicht hat sie jemand verraten. "Zurzeit genügt es eigentlich, dass man jung ist, um sich verdächtig zu machen" sagt Soe Thet Puy.

Seine Freunde wurden verhaftet und verhört. Das bedeutet in Myanmar derzeit: mindestens Prügel oder brennende Zigaretten auf die Haut gedrückt. Etwa 2000 Menschen wurden seit dem Coup von der Junta umgebracht, mehr als 10 000 weggesperrt. Soe Thet Puy ist aus seinem Heimatort in ein Kloster geflohen, nachdem seine Freunde verhaftet wurden, viele Kilometer entfernt. An dem Tag, an dem er mit der Süddeutschen Zeitung spricht, hat er sich in einen anderen Ort durchgeschlagen, auf einem Motorrad im Monsun-Regen. Das ist zwar gefährlich, aber so konnte er das Risiko minimieren, in eine Straßensperre zu geraten.

Er ruft aus einer Schule an, im Hintergrund hört man Kinder schreien. Die sollen in Freiheit aufwachsen, wenn es nach Soe Thet Puy geht. Er bedankt sich nach seiner Odyssee mehrfach für die Zeit, die man ihm widmet, sie haben in Myanmar schon mitbekommen, dass der Rest der Welt kaum noch Raum für ihre Not hat, in den Köpfen und in den Herzen. Der Ukraine-Krieg saugt die Aufmerksamkeit ab.

Dabei spüren sie auch in Myanmar die Folgen der weltweit rasant wachsenden Probleme. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat in der vergangenen Woche gewarnt, dass auch in Myanmar bereits 13,2 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Die anhaltende Gewalt, die Wirtschaftskrise, Klimafaktoren, die Vertreibung der Bevölkerung und steigende Kosten bringen das gesamte nationale Ernährungssystem durcheinander. Die FAO hatte bereits im April Nothilfe für 4700 gefährdete Bauern im Mon-Staat aufbringen müssen. "Jede Verzögerung beim Schutz und bei der Wiederherstellung der landwirtschaftlichen Existenzgrundlagen bedeutet, dass sich die Krise der Ernährungssicherheit in Myanmar unweigerlich weiter verschärfen wird", warnte die FAO.

International ist die Militärregierung weitgehend isoliert

Was die Hoffnung der Generation Y aufrechterhält? "Dass die Junta nicht mehr gewinnen kann", sagt Soe Thet Puy ungerührt und überzeugt. "Es ist heute schwer zu erkennen, wieso sie realistischerweise glauben, dass sie gewinnen können", so hat es auch Derek Chollet ausgedrückt, Berater des US-Außenministeriums, bei seinem Besuch in Bangkok am vergangenen Wochenende. "Sie verlieren Territorium. Ihr Militär muss schwere Verluste hinnehmen."

Die Militärregierung sei nicht nur im eigenen Land, sondern auch international isoliert, sie sollte den Kampf beenden und zur Demokratie zurückkehren, sagte Chollet der Nachrichtenagentur Reuters. Der Diplomat war unterwegs in Thailand, Singapur und Brunei, um das Treffen der USA mit den südostasiatischen Ländern des Asean-Bundes nachzubereiten, die Myanmar überraschend ausgeschlossen hatten, solange die Junta keinen zivilen Vertreter benennt und keine Beobachter ins Land lässt. Doch der Druck der USA und der Asean-Länder alleine wird nicht genügen. Er hoffe, dass auch China "Teil der Lösung" in Myanmar sein könne, sagte Chollet.

Soe Thet Puy will nun so lange als Lehrer in einer Gemeinde arbeiten, wo ihn niemand kennt, bis die Sache vorbei ist. Oder bis ihn jemand hinhängt, als jungen Menschen, der neu in der Gegend ist. Verdächtig. Solange gibt er Englisch-Unterricht und überweist alles Geld, das übrigbleibt, an die PDF in seinem Heimatort. Es könnte sein, dass sich sein Durchhaltewillen lohnt. Dann könnte er seine Zulassung als Anwalt beantragen und bei der juristischen Aufarbeitung des Coups mitwirken. Damit hätte er auf Jahrzehnte gut zu tun. Auch ohne lügen zu müssen.

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