Süddeutsche Zeitung

"Münchner Neueste Nachrichten" vom 28. Juni 1914:Was vor 100 Jahren in der Zeitung stand

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Am des 28. Juni 1914 wurde Österreichs Thronfolger in Sarajewo ermordet. In der damaligen Ausgabe der SZ-Vorgängerin "Münchner Neuesten Nachrichten" deutet noch nichts auf Erschütterung des Weltgefüges hin. Trotzdem ist der Erzherzog Thema, ebenso ein heute noch bekannter Schriftsteller - und der Urlaub des Chefredakteurs.

Von Barbara Galaktionow

SZ.de dokumentiert, wie die Münchner Neuesten Nachrichten vor 100 Jahren über den Weg in den Ersten Weltkrieg berichtet haben. Die Tageszeitung war die Vorgängerin der Süddeutschen Zeitung.

Als die Leser am Morgen des 28. Juni 1914 in die Münchner Neuesten Nachrichten blickten, deutete rein gar nichts darauf hin, welche Zäsur dieser Tag für den Verlauf der nächsten Wochen und Jahre, ja für die gesamte weitere Geschichte des 20. Jahrhunderts spielen würde.

Der 28. Juni 1914, das war der Tag, an dem der serbische Attentäter Gavrilo Princip in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie erschoss. Der Tag, der die Entwicklung in Gang setzte, die zum Ersten Weltkrieg führte. Einem Krieg, in dem Millionen Menschen verwundet oder getötet wurden und der das bestehende Weltgefüge in seinen Grundfesten erschütterte.

Die Titelseite der Münchner Neuesten Nachrichten, dem Vorläuferblatt der Süddeutschen Zeitung, ließ an diesem Sonntag im Sommer noch nicht erahnen, was da auch auf die Münchner zurollte. Die Ereignisse, die hier behandelt werden, haben keine Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterlassen.

Um einen Konflikt inmitten der Wirren der mexikanischen Revolution geht es im Aufmachertext: Der USA-Korrespondent des Blattes analysiert die unsinnige Lage, in die sich die USA mit der Einnahme der mexikanischen Hafenstadt Veracruz manövriert hätten. Präsident Woodrow Wilson hatte im April 1914 die kurzzeitige Festnahme amerikanischer Matrosen in Mexiko als Vorwand dafür genutzt, Veracruz zu besetzen - aus Gründen, die bereits gegenstandslos geworden seien, urteilt der Korrespondent.

Die Amerikaner fragten sich, warum man nach Mexiko ging und nun dort bleibe, schreibt er weiter. Am meisten ärgerten sich jedoch die großen Zeitungen, "die Dutzende von Berichterstattern auf den Kriegsschauplatz, der keiner ist, geschickt" hätten und sogar Romanschriftsteller wie Jack London. Die säßen nun alle dort und verzehrten "immense Diäten", hätten aber sonst nichts zu tun, mokiert sich der Schreiber. Der Artikel endet mit einer grundsätzlichen Kritik an Präsident Wilson, dem das Verständnis für wirtschaftliche Angelegenheiten völlig abgehe. Er wurde laut Datierung bereits am 19. Juni verfasst, also einige Tage vor seiner Veröffentlichung.

Hinweis auf Franz Ferdinand

Direkt an den Aufmachertext schließt sich ein - per Telegramm eingesandter - Bericht über die "Wirren in Albanien" an, eine Art Wasserstandsmeldung in dem schwelenden Konflikt. Damals offenbar ein wichtiges Ereignis, dürften sich heute außerhalb der Region nicht allzu viele Menschen an die Auseinandersetzung erinnern: Im seit 1912 unabhängigen Albanien kämpften albanische Rebellen und Griechen gegen den von den Großmächten als Fürst eingesetzten, deutschen Wilhelm Prinz zu Wied.

Ganz am Rande des Berichts über mögliche Friedensverhandlungen gibt es einen Hinweis auf Österreichs Thronfolger Franz Ferdinand: Die Anwerbung eines Freiwilligenkorps für Albanien sei in Wien auf Schwierigkeiten gestoßen. Sie sei deshalb ausgesetzt worden - vermutlich auf Befehl des Kaisers in spe, "der in Bosnien weilt und von der Angelegenheit verspätet erfahren haben durfte". Als manche Leser diesen Nebensatz an jenem 28. Juni in ihrer Zeitung lasen, war der Erzherzog schon tot.

Unten auf der Titelseite der Zeitung findet sich Teil 31 des Fortsetzungsromans "Der arme Buchbinder" von Hermann Horn aus Obermenzing - auch das ein Hinweis darauf, dass aus deutscher Sicht am Vortag des 28. Juni 1914 nichts allzu Dramatisches in der Welt geschehen war.

Gemächlich geht es weiter auf den folgenden Seiten. So erfährt der Leser im Lokalteil, dass sich das Sommerfest im Tierpark Hellabrunn "bei schönstem Wetter eines sehr guten Besuches, der in den Abendstunden noch anwuchs" erfreute. Aber auch, dass der Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten, Dr. Martin Mohr, "nach einem mehrtägigen Urlaub die Dienstgeschäfte wieder übernommen" hat, ist der Redaktion eine Meldung wert. Mag sein, dass auch manch heutiger Chefredakteur gegen eine solche Form der Hofberichterstattung gar nicht so viel einzuwenden hätte.

Obsolete Langfristplanung

Hilfestellung für den Alltag im Kulturleben gibt es im "Bunten Feuilleton". Hier wird mit Knigge in neun Punkten der drängenden Frage nachgegangen: "Wie benehme ich mich an der Theaterkasse?" Außerdem wird die kritische Aufmerksamkeit auf vom Sinn her doppelt gemoppelte Wörter gelenkt, die damals offenbar en vogue waren, so zum Beispiel die "Rückerinnerung".

Hilfe bei Hautleiden versprechen mehrere Annoncen im Anzeigenteil - wie es scheint, ein verbreitetes Problem. Ein Herr Krahmer aus der Münchner Goethestraße bietet darüber hinaus gewissenhafte Behandlung an für "alle Folgen von Geschlechts- und Jugendverwirrungen". Münchner Eltern suchen per Anzeige für einen 15-jährigen Knaben Angebote für einen "zweimonatlichen Ferienaufenhalt in Tirol oder bayr. Bergen". Gut möglich, dass diese Ferienpläne durch den Gang der Geschichte vereitelt wurden.

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