Süddeutsche Zeitung

Proteste:Demonstranten fordern Neuwahlen in der Mongolei

Lesezeit: 3 min

Nach einem Korruptionsskandal dauern die Proteste gegen die Regierung an - und diese hat nur wenig Handlungsspielraum.

Von Lea Sahay

Hunderte Menschen protestieren seit Tagen bei Temperaturen um die minus 20 Grad vor dem Regierungssitz in Ulan-Bator. Vor einer Woche hatten einige sogar versucht, das Regierungsgebäude in der mongolischen Hauptstadt zu stürmen. Es sind schon die zweiten großen Demonstrationen in diesem Jahr. Ausgelöst wurden sie von der Unzufriedenheit über Ermittlungen in einem seit Monaten schwelenden Korruptionsskandal: Regierungsvertreter sollen Kohle beim Export in das benachbarte China am Zoll vorbeigeschmuggelt haben. Es wird gegen mehr als 30 Beamte wegen Unterschlagung ermittelt, darunter auch der Vorstandsvorsitzende eines großen staatlichen Kohlebergbauunternehmens.

Im Frühjahr waren vor allem jüngere Menschen auf die Straße gegangen. "Sie haben das Gefühl, dass Politik nicht für sie gemacht wird", erklärt Julian Dierkes von der University of British Columbia in Kanada. Der Experte war zuletzt im November für zwei Wochen in der Mongolei. Dort ist die Jugendarbeitslosigkeit hoch, das Lohnniveau ist niedrig. Viele der 3,4 Millionen Menschen seien frustriert über die jahrzehntealten Versprechungen der Regierung auf bessere Zeiten, die sich bisher nicht erfüllt hätten.

Gerade rächt sich, dass die Mongolei fast vollständig von ihren Rohstoffexporten abhängig ist

Sollten die Proteste andauern, könnte Premierminister Oyun-Erdene gezwungen sein zurückzutreten. Einige Demonstranten fordern die Auflösung des Parlaments, eine Wahlreform und vorgezogene Neuwahlen. Die Mongolische Volkspartei (MVP), die auch mit innerparteilichen Auseinandersetzungen kämpft, regiert allerdings mit großer Mehrheit und wird Neuwahlen vermeiden wollen. Vereinzelt sind zwar Demonstranten mit Sicherheitskräften aneinandergeraten, doch bisher kam es zu keiner Gewalt. Noch gab es auch keinen Versuch, die Versammlungen zwangsweise aufzulösen.

An den Protesten zeigt sich auch, wie sehr es sich zurzeit rächt, dass die mongolische Wirtschaft fast vollständig von ihren Rohstoffexporten abhängig ist. Die sinkenden Rohstoffpreise, die Abwertung der heimischen Währung und ein Rückgang der ausländischen Investitionen verschärfen die Situation.

Die Mongolei, geografisch eingeklemmt zwischen den zwei Autokratien Russland und China, befindet sich in einer schwierigen Lage. Pekings strenge Corona-Politik der vergangenen drei Jahre hatte große Auswirkungen auf das kleine Nachbarland. Die Volksrepublik ist der größte Handelspartner, allein bei den Exporten lag der chinesische Anteil zuletzt bei rund 90 Prozent. Sinken in China die Investitionen, spürt das die mongolische Wirtschaft sofort. Sollten die in China angekündigten Lockerungen nachhaltig sein, wären das daher gute Nachrichten für die Mongolei.

Doch auch die Folgen des Krieges in der Ukraine belasten die mongolische Wirtschaft: Seit Februar ist die Inflation auf mehr als 15 Prozent gestiegen. In einer Umfrage des International Republican Institute (IRI) im März und April nannten fast 60 Prozent der Befragten in der Mongolei die hohen Preise und Lebenshaltungskosten als das größte Problem für sie.

Viktor Frank von der Konrad-Adenauer-Stiftung beobachtet die Proteste seit ein paar Tagen vor Ort in Ulan-Bator. Er ist skeptisch, ob die Regierung kurzfristig auf die Sorgen der Demonstranten reagieren kann: "In der jetzigen Situation gibt es nur wenig Handlungsspielraum, weil die Regierung auf viele Faktoren keinen Einfluss hat."

Viele in der Mongolei identifizieren sich mit dem Kampf der Ukrainer um Abgrenzung

Gemeint ist damit auch der Ukraine-Krieg: Offiziell bleibt die Mongolei neutral, bei Abstimmungen in der UN-Vollversammlung zur Verurteilung der russischen Invasion hat sich die Demokratie wiederholt enthalten. Der Grund ist die hohe Abhängigkeit bei der Lieferung von Erdölprodukten aus Russland, ein Lieferstopp wäre eine Katastrophe fürs Land.

In der Mongolei, einst ein enger Verbündeter der UdSSR, identifizieren sich gleichzeitig viele Menschen mit dem Kampf der Ukrainer um Abgrenzung. Bei einer Rede der Mongolei vor den Vereinten Nationen ging es zuletzt um die Notwendigkeit, Konflikte friedlich zu lösen - für den kleinen Staat ein bemerkenswertes Signal in Richtung Moskau.

Seit der Demokratisierung 1990 ist das Verhältnis zu China und Russland die größte Herausforderung in der mongolischen Außenpolitik. "Wie ein gallisches Dorf in einer ganz schlimmen Nachbarschaft", beschreibt Dierkes die Lage. Das Land profitiert bislang vor allem von den Grenzen der russisch-chinesischen Freundschaft. Dort, wo die beiden Länder nicht einheitlich agieren, nutzt die Mongolei den Spielraum, um mit beiden Seiten unabhängig zu verhandeln.

Zusätzlich strebt das Land nach Kontakt zu den sogenannten "Dritt-Nachbarn". Dazu gehört auch Deutschland. Premierminister Luvsannamsrai Oyun-Erdene reiste erst im Oktober für ein Treffen mit Olaf Scholz nach Berlin. Der Bundeskanzler betonte, wie wichtig gerade "in derzeitigen Krisenzeiten" der enge Austausch aufgrund gemeinsamer Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sei.

Schwankt mit der Mongolei gerade die nächste Demokratie? Darauf gibt die Umfrage des IRI eine mögliche Antwort. 74 Prozent der Befragten bezeichnen darin die Korruption als ein ernstes Problem, aber gleichzeitig erklären 67 Prozent, dass sie die Demokratie für die einzig richtige Regierungsform hielten.

Viktor Frank von der Konrad-Adenauer-Stiftung sagt: "Die Mongolei ist eine Demokratie mit defizitären oder teilweise defekten Institutionen, die sich weiterentwickeln müsste." Er betont aber auch: "Es gibt auch eine sehr aktive Zivilgesellschaft, und wie man jetzt schön sieht, ist sie in der Lage einzufordern, was sie für richtig hält."

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