Süddeutsche Zeitung

Mindestlohn:Von wegen Jobkiller

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Entgegen aller Kritik hat der Mindestlohn bisher nicht massenweise Jobs vernichtet. Wirtschaftsverbände kritisieren ihn trotzdem als "Bürokratiemonster". Damit eine der größten sozialpolitischen Reformen der Nachkriegszeit ein Erfolg wird, muss Arbeitsministerin Nahles jetzt hart bleiben.

Kommentar von Thomas Öchsner

Es geht um ein sozialpolitisches Großexperiment. Einen Mindestlohn von 8,50 Euro einzuführen, obwohl Millionen Menschen vor allem im Osten Deutschlands zum Teil deutlich weniger verdienten, war verwegen. Wäre es in den vergangenen Wochen zu Massenentlassungen gekommen, hätte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles einpacken können. 45 Tage nach Einführung der Lohnuntergrenze sieht es anders aus: Der Mindestlohn hat sich bislang nicht als großer Jobkiller entpuppt.

Beim Streit um die 8,50 Euro ging es stets um eine entscheidende Frage: Kostet die neue Untergrenze Stellen? Eine seriöse Antwort darauf zu geben, ist noch zu früh: Die Lage am Arbeitsmarkt hängt von vielen Faktoren ab, vom Euro-Kurs und Ölpreis, den Zinsen oder der Ukraine-Krise. Viele Firmen müssen erst ausprobieren, ob sie höhere Lohnkosten durch höhere Preise oder Sparmaßnahmen ausgleichen können. Dennoch kann man feststellen: Wenn Jobs wegfallen, trifft dies vor allem Minijobber. Hunderttausende Stellen, wie von manchen Ökonomen befürchtet, sind bis jetzt nicht verschwunden. Die Beschäftigung wird 2015 vielmehr erneut wachsen, wenn auch nicht so stark wie ohne die 8,50 Euro. Es hätte also viel schlimmer kommen können.

Das Geschrei dürfte in ein paar Monaten vorbei sein

Wie bei jedem Gesetz mit historischen Ausmaßen gibt es am Anfang allerdings ein paar Kinderkrankheiten. Was passiert mit der Aufwandsentschädigung, die Ehrenamtliche erhalten? Wie dürfen Sportvereine ihre Amateure bezahlen? Gilt der Mindestlohn für Arbeitnehmer aus dem Ausland, die für kurze Zeit in Deutschland arbeiten? Das Geschrei deswegen ist groß und verständlich, aber in ein paar Monaten dürfte es damit vorbei sein. Nahles wird alles daran setzen, hier schnell Rechtsklarheit zu schaffen.

Die Kritik der Wirtschaftsverbände an der Pflicht für Arbeitgeber, für bestimmte Beschäftigte Beginn, Dauer und Ende der Arbeit zu notieren, ist hingegen weitgehend nur vorgeschoben: Fallen Überstunden an, sind Arbeitgeber schon lange verpflichtet, diese aufzuschreiben, was voraussetzt, auch die reguläre Arbeitszeit richtig zu erfassen. Die Vorschrift ist nur für die neun Branchen bindend, die als besonders anfällig für Schwarzarbeit gelten. Bei den Minijobbern gab es bereits zuvor die Auflage, die wöchentliche Arbeitszeit und geleistete Arbeitsstunden aufzuzeichnen. Und die Minderheit von Arbeitgebern, die jetzt wirklich mehr zu tun hat, kann ihre Arbeitnehmer bitten, per Hand einen Stundenzettel auszufüllen.

Bürokratie findet keiner gut

Tatsächlich geht es bei der Kritik am angeblichen Bürokratiemonster Mindestlohn um Nahles selbst. Bürokratie findet keiner gut. Also ist das für ihre Gegner ein ideales Thema, um sie anzugreifen. Außerdem kommen nun Geschäftspraktiken ans Tageslicht, die eine Schattenseite des deutschen Jobwunders zeigen. Wer bisher das Aufschreiben nicht so ernst nahm, könnte beim Schludern entdeckt und mit einem hohen Bußgeld bestraft werden. Wer Mitarbeiter unbezahlt Überstunden schieben ließ, wird womöglich schneller entlarvt. Das größte Einfallstor, den Mindestlohn zu umgehen, ist die Arbeitszeit, gerade bei den Minijobbern, wo Schwarzarbeit besonders verbreitet ist. Es ist deshalb geradezu absurd, wie von der Union gefordert, die Dokumentationspflichten für die 450-Euro-Kräfte wieder abzuschaffen.

Der Mindestlohn ist eine der größten sozialpolitischen Reformen der Nachkriegsgeschichte. Ein Erfolg wird er aber nur, wenn Nahles bei den Kontrollen hart bleibt. Nur so kann die neue Untergrenze helfen, diejenigen Unternehmen zu schützen, die Gesetze beachten und Mitarbeiter korrekt bezahlen, und zugleich schwarzen Schafen mit fragwürdigen Arbeitszeitmodellen Einhalt gebieten.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2015
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