Süddeutsche Zeitung

Migration in Deutschland:Widerwille gegen die Einwanderer

Lesezeit: 3 min

Die Historikerin Maria Alexopoulou beschreibt die deutsche Sicht auf Migranten - mit einer sehr klaren Haltung. Wo andere die postmigrantische Gesellschaft loben, hält sie sich eher beim NS-Begriff der "Volksgemeinschaft" auf.

Rezension von Robert Probst

Im Mannheimer Wohnungsamt hing in den 1970er-Jahren am Schwarzen Brett unter einem Großteil der privaten Wohnungsangebote gut sichtbar das Schild "Keine Ausländer". Dem dringenden Wunsch des Mieterbundes, das Schild doch bitte abzuhängen, kam der Leiter des Amts nicht nach. Die deutschen Vermieter würden sonst ihre Angebote zurückziehen, sagte er 1974. Und im Jahr 1978 sagte er - wieder angesprochen auf das Schild -, dass etwa 90 Prozent der deutschen Vermieter nun mal keine Ausländer, insbesondere keine Türken, als Mieter haben wollten.

Ein krasser Einzelfall? Nein, ganz normaler deutscher Alltag, sagt die Historikerin Maria Alexopoulou, die viel zur Migrations- und Rassismusgeschichte forscht, in ihrem Buch "Deutschland und die Migration". Und zwar nicht nur damals, sondern flächendeckend und über sehr, sehr lange Zeit. Der Untertitel grenzt Thema und Stoßrichtung klar ein: "Geschichte einer Einwanderungsgesellschaft wider Willen". Rassismus und Diskriminierung von Zugewanderten sei im Rückblick über Jahrzehnte in der Bundesrepublik ein "integraler systemischer Bestandteil" der Mehrheitsgesellschaft gewesen.

Mulitkulti-Veteranen kommen auch nicht gut weg

Während also die einen die postmigrantische Gesellschaft der Gegenwart loben, hält sich Alexopoulou eher beim Begriff "Volksgemeinschaft" aus der NS-Zeit und der Weitergabe von rassistischem Wissen von Generation zu Generation auf. Diese Sicht dürfte für viele Leser schmerzhaft sein, übrigens auch für "Ausländerfreunde" und Multikulti-Veteranen, die im Buch nicht gut wegkommen.

Alexopoulou ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und Habilitandin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte des Historischen Instituts der Universität Mannheim. Ihr Buch ist zwar einerseits streng wissenschaftlich, etwa bei den oft spröden Begrifflichkeiten, es ist aber andererseits nicht ohne Emotionen geschrieben.

Sie formuliert mit Verve, teils wird arg zugespitzt. Es wäre nur leicht übertrieben zu sagen, dass hier eine Forscherin ein wenig wütend ist - auf die Mehrheitsgesellschaft und zum Teil auch auf die Historikerkollegen, die einen aus ihrer Sicht "blinden Fleck" der bundesdeutschen Geschichte zu wenig oder gar nicht wahrgenommen haben.

Dieses Engagement muss nichts Negatives sein, der Trend zur klaren Sprache ist seit einiger Zeit bei jüngeren Wissenschaftlern zu beobachten, doch dabei geraten so manchem die berühmten Graustufen, mit denen die Wirklichkeit meist gefärbt ist, aus dem Blick, vieles erscheint dann nur noch in Schwarz oder Weiß. Umschrieben wird es auf dem Cover so, dass die Autorin "die Perspektive derer einnimmt, die längst dazugehören und dennoch immer wieder Ausgrenzung erfahren".

Viele Themen werden am Beispiel Mannheim gespiegelt

Ohne Zweifel richtig ist, dass Deutschland lange Zeit kein Einwanderungsland sein wollte, auch dann noch nicht, als es längst eines war. Dies arbeitet Alexopoulou sehr gut heraus - indem sie die großen Politiktrends vor und nach 1945 immer wieder mit den Vorgängen in der baden-württembergischen Industriestadt Mannheim in Verbindung bringt.

Dieser Blick, vom Lokalen ausgehend, erweist sich nach erster Irritation auf Dauer als sehr gewinnbringend, denn vieles am deutschen Ausländerrecht war lange Zeit Auslegungssache - und es war eher selten, so die Erkenntnis, dass die Behörden oder Ämter vor Ort einmal zugunsten der Zugewanderten entschieden hätten.

Alexopoulou schreitet die Begegnungen der Deutschen mit Menschen aus anderen Ländern souverän ab - vom Anfang des Kolonialismus im Kaiserreich über die ersten Zwangsarbeiter im Ersten Weltkrieg, die Zuwanderung von Deutschstämmigen nach dem Zusammenbruch das Habsburgerreiches, die Millionen Zwangsarbeiter im Dritten Reich, die "Displaced Persons" nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zu den ersten "Gastarbeitern".

Ihre Thesen: Die vor 1945 eingeübten rassistischen Denkweisen bestanden danach nahtlos fort; "die dominante Haltung der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu Ausländern war von einer als legitim empfundenen Feindseligkeit bestimmt"; in Deutschland grassierte ein "weitgehend unhinterfragter Widerwille gegen Einwanderung. Dieser Widerwille wurzelte im rassistischen Wissen über den Deutschen und den Ausländer, und äußerte sich konkret in der Weigerung, diese Ausländer Teil des ,deutschen Volkes' werden zu lassen".

War 1990 des Jahr der "völkischen Extase"?

Das alles wird recht gut belegt mit Daten und Zitaten aus den Ministerien hinauf bis zur Regierung Schmidt und Kohl. Erschreckend daran vor allem, wie unkritisch lange Zeit mit Begriffen wie "Ausländerflut" oder Überfremdungsängsten operiert wurde. Schade ist, dass der Überblick mit der deutschen Einheit - der Zeit der "völkischen Ekstase" - endet.

Was hat sich seither geändert? Dass Deutschland sich zu seiner Stellung als Einwanderungsland bekenne, datiert Alexopoulou aufs Jahr 2015, allerdings ohne weiteren Beleg. Dass Eingewanderte und deren Nachkommen noch immer nicht in der großen deutschen Meistererzählung vorkommen, hält sie für ausgemacht - doch der Anspruch vieler Menschen mit Migrationshintergrund, das kollektive Narrativ mitzuprägen, ist ja längst zu Recht erhoben worden.

Das Buch fordert oft zum Widerspruch heraus, etwa wenn vom "Verwertungskalkül" oder "Nützlichkeitsabwägungen" geschrieben wird, aber die Autorin landet viele Treffer - vor allem dass man heute Rassismus gern in rechtsextremen Milieus verortet und ihn somit marginalisiert. Rassismus bleibt aber ein Problem von vielen. Fazit: Hier werden viele Finger in viele Wunden gelegt. Die Integrationserfolge in beide Richtungen und die Graustufen muss man anderswo suchen.

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SZ vom 01.03.2021
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