Süddeutsche Zeitung

USA:Wie die Abtreibungsdebatte die Midterms mitentschied

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Nachdem der Supreme Court das Grundsatzurteil über Abtreibungen gekippt hatte, machten das viele Demokraten zum Thema Nummer eins. Warum ihnen das geholfen hat - und wo.

Von Peter Burghardt, Washington

Sie gingen auf die Straße und protestierten, sie klopften an Türen und hingen am Telefon, sie trafen sich in Wohnzimmern und Kinosälen. So ging das über Wochen in Michigan, wo bei diesen US-Zwischenwahlen am 8. November nicht nur über Abgeordnete und Gouverneurin abgestimmt wurde. Sondern auch über die Frage, ob Abtreibung legal bleibt oder wieder die restriktiven Regeln aus dem Jahre 1931 gelten sollen. Und jetzt feiern die Frauen und auch die Männer, die sich zugunsten freiheitlicher Bestimmungen durchgesetzt haben.

Im Juni hatte der Oberste Gerichtshof in Washington das wegweisende Urteil im Fall Roe v. Wade von 1973 gekippt, damals war das Recht auf Schwangerschaftsabbruch für verfassungsgemäß erklärt worden. Nach dem neuen Schiedsspruch des sehr konservativ besetzten Supreme Court müssen wieder die einzelnen Bundesstaaten entscheiden, was wo gilt. So wäre zum Beispiel Michigan beinahe wieder in einer Zeit gelandet, in der noch Herbert Hoover US-Präsident war. Dann hätte dort nicht mal mehr nach Vergewaltigung und Inzest abgetrieben werden dürfen.

Aber im Zuge der weltweit beachteten Entscheidung der obersten Richter geriet in dieser Gegend zwischen den großen Seen einiges in Bewegung. Vor allem Frauen versammelten und organisierten sich, um den Rückfall in eine ferne Vergangenheit zu stoppen. Ein Referendum wurde auf den Weg gebracht, wie zuvor bereits in Kansas und nun auch in weiteren Bundesstaaten. In Michigan war es das sogenannte Proposal 3, Vorschlag 3.

Selbst manchen Wählern der Republikaner wäre die Verschärfung zu viel gewesen

Die demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer setzte sich dafür ein und blockierte derweil das alte Gesetz, ihr Wahlkampf drehte sich nicht zuletzt um das Thema Abtreibungsrecht. Da waren Organisationen wie die Vereinigung "Reproduktive Freiheit für alle" oder die Aktivistinnen von "Red Wine & Blue", darunter vorwiegend Frauen aus den Vororten. Es hieß zuletzt immer wieder, dass sich viele dieser suburban women auch den Republikanern zugewandt hätten. Aber selbst Teilen der republikanischen Wählerschaft wäre eine derartige Verschärfung der Abtreibungsregeln zu viel gewesen, jedenfalls gewannen nun die Demokraten. Besonders die Demokratinnen.

Das Referendum über Proposal 3 wurde an Amerikas großem Wahltag mit einer Mehrheit von fast 60 Prozent der abgegebenen Stimmen angenommen. Damit begräbt Michigan das verstaubte Abtreibungsverbot und schreibt neue, sehr liberale Vorgaben in der Landesverfassung fest. Auch in Vermont und Kalifornien entschieden die Wählerinnen und Wähler, dass Frauen selbst über ihren Körper befinden und sich mit Medizinern absprechen sollen statt mit Juristen. In Kentucky, Heimat des republikanischen Minderheitsführers im Senat, Mitch McConnell, scheiterte ein Änderungsantrag.

Geschichte hätten sie gemacht, erklärte das "Reproductive Liberty Ballot Committee" in Vermont. "Michigan, wir haben es geschafft!", twittert das Aktionsbündnis "Reproductive Freedom For All", zu dem auch Ärztinnen und Krankenschwestern gehören. "Vielen Dank an alle, die sich freiwillig gemeldet, ein Schild aufgestellt und bei dieser Wahl für #Proposal3 gestimmt haben!" Dies sei "ein historischer Sieg für den Zugang zur Abtreibung in unserem Staat und in unserem Land" und ebne künftigen Bemühungen landesweit den Weg, sagt die Sprecherin Darci McConnell. Und Gavin Newsom, der demokratische Gouverneur von Kalifornien, sagt: "Wir haben bekräftigt, dass wir ein wahrer Freiheitsstaat sind."

Lange sah es so aus, als wäre doch die Inflation das Topthema

In diesen drei Staaten wie davor schon in Kansas wurde dank dieser Initiativen bis auf weiteres verhindert, dass Schwangere in Nachbarstaaten, ins Ausland oder in Hinterzimmer flüchten, wenn sie ihre Schwangerschaft beenden wollen oder müssen. Von Detroit aus, der größten Stadt Michigans, wären sie künftig notfalls durch den Tunnel rüber nach Warren in Kanada gefahren. Und es zeigte sich bei diesen Abstimmungen im Rahmen der Midterms auch, welchen Einfluss die Debatte über Abtreibung auf den gesamten Wahlausgang hatte.

Erst schien es vor einigen Monaten, nach dem Aus von "Roe v. Wade", dass diese Diskussion die Demokratische Partei retten könnte. Dann sah es so aus, als ginge es, zugunsten der Republikaner, mittlerweile vor allem um die enorm gestiegenen Preise an den Zapfsäulen und im Supermarkt. An diesem Wahldienstag schließlich zeigte sich, dass die Republikaner die Empörung über das revidierte Abtreibungsurteil durch den Obersten Gerichtshof doch unterschätzt hatten und die Demokraten von der Mobilisierung profitierten.

In Kalifornien bezwang Gavin Newsom seinen republikanischen Rivalen so deutlich wie in Michigan Gretchen Whitmer ihre Gegnerin Tudor Dixon, die Stimmung gegen Abtreibung gemacht hatte. Es sei ein "verdammt gutes Gefühl", aus Michigan zu sein, twittert die wiedergewählte Gouverneurin Whitmer. "Abtreibung war, ist und wird in Michigan legal bleiben."

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