Süddeutsche Zeitung

Friedrich Merz:Der Anti-Merkel

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Von Robert Roßmann, Berlin

Jetzt tritt er also tatsächlich an. Am Montagvormittag hatte Friedrich Merz nur über Vertraute signalisieren lassen, dass er bereit sei, für den CDU-Vorsitz zu kandidieren. Er selbst schwieg den ganzen Tag: kein öffentlicher Auftritt, keine schriftliche Erklärung, nichts. Dabei hatte die Personalie die gesamte CDU elektrisiert. Denn in Friedrich Merz greift der größtdenkbare Merkel-Antipode nach dem Stuhl der Parteivorsitzenden. Seine Wahl stünde für eine politische Schubumkehr in der Union. Und seine Kandidatur würde all die Karrierepläne von Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn, Armin Laschet und den anderen denkbaren Christdemokraten der Zukunft durcheinanderwirbeln. Am Dienstag hatte das Warten auf Merz dann ein Ende. Der ehemalige Unionsfraktionschef ließ am Mittag eine Pressemitteilung verbreiten. Der Text ist nur wenige Sätze lang, er lässt an Klarheit aber nichts vermissen.

Die Leistungen der CDU-Vorsitzenden handelt Merz in einem einzigen Satz ab. "Angela Merkel verdient Respekt und Anerkennung für ihre Leistungen in 18 Jahren an der Spitze der Partei", schreibt Merz, um dann gleich auf sich zu kommen. Mit dem Rückzug Merkels habe die CDU "nun die Chance, sich neu aufzustellen und eine neue Parteiführung zu wählen" - er habe sich "entschieden, auf dem Bundesparteitag in Hamburg für den Vorsitz der Christlich Demokratischen Union Deutschlands zu kandidieren".

Merz gilt als konservativ und wirtschaftsnah. Vor allem aber gilt sein Verhältnis zu Merkel als unkittbar zerrüttet, seit die ihn 2002 von der Spitze der Unionsfraktion verdrängt hat. Sollte Merz auf dem Parteitag gewählt werden, dürfte das auch das schnelle Ende der Kanzlerschaft Merkels bedeuten. Und zumindest Stand jetzt scheint er keine schlechten Chancen zu haben zu obsiegen.

Entsprechend aufgeregt ist die Partei. Wolfgang Bosbach, wie Merz ein Christdemokrat, der an der durch die vielen Veränderungen waidwunden CDU-Basis Freudenstürme auslösen kann, begrüßte die Kandidatur von Merz. Auch der CDU-Wirtschaftsrat zeigte sich erfreut, genauso wie Christian von Stetten, der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand - das ist die größte Gruppe in der Unionsfraktion. Sie alle haben unter Merkels Modernisierungskurs gelitten. Merz ist für sie das Versprechen, dass alles wieder so werden könnte, wie es einmal war. Es ist eine Sehnsucht, die - auch wegen der dramatisch gesunkenen Umfragewerte - viele in der CDU ergriffen hat. Merz ist Projektionsfläche für alles Mögliche. Aber genau das macht seine Kandidatur so erfolgversprechend - und seine möglichen Konkurrenten so nervös.

Mit seinem am Montag lancierten Interesse hat Merz die anderen Interessenten bereits in einen unangenehmen Zugzwang gebracht. Statt ihre Kandidaturen öffentlichkeitswirksam und bei geeigneter Gelegenheit erklären zu können, sahen sich Kramp-Karrenbauer und Spahn genötigt, ihr Interesse schon am Montag im nicht öffentlich tagenden CDU-Vorstand zu bekunden. Auch Armin Laschet war überrumpelt. Er konnte noch nicht sagen, ob er antreten will. Es blieb ihm deshalb nichts anderes übrig, als seine Kandidatur offenzuhalten und darüber zu klagen, dass es wenige Stunden nach Merkels Ankündigung bereits so viele Bewerber für die Nachfolge gebe - das sei doch irgendwie pietätlos.

Aber wie soll die Partei jetzt mit der Fülle an Bewerbern umgehen? Es gibt ja auch noch drei Kandidaten, die bereits vor Wochen ihren Hut in den Ring geworfen haben: der hessische Unternehmer Andreas Ritzenhoff, der Bonner Völkerrechtsprofessor Matthias Herdegen sowie Jan-Philipp Knoop, ein Berliner Jura-Student. Alle drei gelten zwar nur als Zählkandidaten, aber sie müssen ja trotzdem gerecht behandelt werden.

Normalerweise ist es Sache der Parteitagsdelegierten, den Vorsitzenden zu wählen. Ritzenhoff und Herdegen verlangen jetzt aber eine Urabstimmung aller Mitglieder. Auch Uwe Schummer, der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe in der Unionsfraktion, fordert einen Mitgliederentscheid. Schließlich gehe es bei der Wahl des CDU-Chefs ja praktisch auch um die Wahl des nächsten Kanzlerkandidaten der Union. Und Julia Klöckner, Merkels Stellvertreterin im Parteivorsitz, hätte gerne, dass die CDU vor dem Parteitag Regionalkonferenzen veranstaltet, auf denen sich alle Kandidaten präsentieren können.

Am kommenden Sonntag trifft sich die CDU-Spitze in Berlin zu einer Klausur. Angesichts des Drucks in der Partei werden es sich die Parteigranden kaum erlauben können, es beim eigentlich vorgesehenen Schaulaufen auf dem Parteitag zu belassen. Um eine Urabstimmung zu vermeiden, könnten sie Regionalkonferenzen beschließen. Aber was bedeutet die Kandidatur von Merz nun für seine Konkurrenten?

Kramp-Karrenbauer hat ihre kurze Zeit als Generalsekretärin zwar genutzt, um in den Gliederungen der Partei für sich zu werben. Und im Gegensatz zu Merz hat sie Regierungserfahrung. Im März 2017 hat sie sogar unter extrem schwierigen Umständen ihr damaliges Amt als saarländische Ministerpräsidentin verteidigt. Aber gegen Merz könnte sie trotzdem verlieren. Vermutlich wäre sie dann auch ihr Amt als Generalsekretärin los.

Auch für Spahn ist die Kandidatur von Merz ein gewaltiger Rückschlag. Denn Merz steht für all das, mit dem auch Spahn punkten wollte. Was also wird der Gesundheitsminister machen, wenn er feststellt, dass er gegen Merz keine Chance hat - oder dass er das Lager der wirtschaftsliberalen Kandidaten derart spaltet, dass am Ende weder er noch Merz, sondern Kramp-Karrenbauer gewinnen könnte? Merz wird im November 63 Jahre alt, Spahn ist erst 38. Wenn der Gesundheitsminister sich zugunsten von Merz aus dem Kreis der Bewerber zurückzöge, hätte er in den kommenden Jahrzehnten trotzdem noch die Chance auf einen weiteren Aufstieg. Außerdem könnte Spahn damit sein Image korrigieren. Bisher gilt er als jemand, dem der Ehrgeiz aus jeder Pore quillt. Einen Rückzug von seiner Kandidatur könnte er als Dienst am Parteifrieden darstellen. Außerdem dürfte er dann auch mit dem Wohlgefallen von Merz rechnen. Der hat in seiner Pressemitteilung vom Dienstag bereits erklärt, dass die Union "Aufbruch und Erneuerung" auch mit "jüngeren Führungspersönlichkeiten" nötig habe.

Auch Laschet bereitet der Coup von Merz Probleme. Er ist Chef der nordrhein-westfälischen CDU, sein Verband stellt ein Drittel aller Parteitagsdelegierten. Inhaltlich steht er Kramp-Karrenbauer am nächsten. Aber Laschet wird es sich nur schwer erlauben können, seinen Delegierten statt der Westfalen Spahn und Merz eine Saarländerin zu empfehlen. Um das Problem zu umgehen, müsste er selbst antreten. Im Gegensatz zu Kramp-Karrenbauer, die bei der FDP mit ihren konservativen familien- und eher linken sozialpolitischen Vorstellungen auf erhebliche Vorbehalte stößt, und im Gegensatz zu Merz und Spahn, die bei den Grünen allergische Reaktionen auslösen, hat Laschet ein gutes Verhältnis zu beiden Partnern einer vielleicht bald nötigen Jamaika-Koalition. Aber Laschet könnte sich eines Sieges nicht sicher sein. Das gilt erst recht, wenn Spahn zugunsten von Merz zurückziehen sollte, und sich Kramp-Karrenbauer und Laschet gegenseitig die Stimmen der liberaleren Delegierten streitig machen. Eine Niederlage wäre für Laschet - er ist immerhin der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes - aber ein schwerer Dämpfer. Auch deshalb überlegt er immer noch, ob er selbst antreten soll.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2018
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