Merkel und die AfD:Wie Merkel der AfD den Nährboden entziehen kann
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Die Kanzlerin wird ihre Haltung zu Geflüchteten nicht ändern, damit würde sie sich nur selbst schaden. Es gibt bessere Wege, die AfD kleinzuregieren. Die sind aber teuer.
Kommentar von Thorsten Denkler
Die Diskussionen werden schon an diesem Montag losgehen. Und wenn dann in zwei Wochen die Berlin-Wahl ähnlich desaströs wird für die CDU, dann wird es kein Halten mehr geben. Die AfD ist zweitstärkste Kraft vor der CDU in Mecklenburg-Vorpommern. Das hat sich angedeutet. Und doch ist dies eine von jenen Prognosen, von denen die CDU gehofft hat, sie möge sich bitte, bitte nicht bewahrheiten.
Mecklenburg-Vorpommern ist nicht das Maß aller Dinge. Knapp 1,3 Millionen Wahlberechtigte sind zu wenige, um aus dem Wahlergebnis eine Sinnkrise der CDU insgesamt zu stricken. Aber der Sieg der AfD über die CDU zeigt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel noch nicht genug erklärt und noch nicht genug getan hat, um die AfD-Wähler für sich zu gewinnen.
Die Diskussionen sind programmiert. Merkel müsse von ihrem freundlichen Kurs gegenüber den Flüchtlingen Abstand nehmen. Sie soll in einer Art großer Entschuldigungsgeste doch endlich einsehen, dass das alles ein großer Fehler war: die Selfies mit Geflüchteten, die für einige Monate offenen Grenzen, diese ganze vermaledeite Willkommenskultur.
Merkel sieht Chancen in den Menschen, die nach Deutschland kommen
Wer genau hinsieht, der muss allerdings erkennen: Bis auf ihren Duktus hat Merkel längst die 180-Grad-Wende vollzogen. Vielleicht schon damals, als sie sich nicht wirklich dagegen auflehnte, dass einige osteuropäische Länder die Balkanroute im Alleingang schlossen. Spätestens aber seit ihrem Deal mit der Türkei und dem quasiautokratischen Präsidenten Erdoğan.
Und doch hat Merkel unter den Geflüchteten einen guten Ruf. Der Grund ist einfach: Noch nie hat ein Bundeskanzler einen solchen Einschnitt derart positiv begleitet. Merkel sieht Chancen darin, dass so viele Menschen nach Deutschland kommen. Und sie argumentiert mit einer moralischen Verantwortung, der sich Deutschland zu stellen habe.
Sie wird ihre Haltung zu den Geflüchteten nicht ändern. Täte sie dies, es würde aussehen, als knicke sie ein vor der AfD-Anhängerschaft, die überall "Lügenpresse" schreit und in der Kanzlerin eine Landesverräterin sieht. Solch ein Schritt würde ihre Wahlaussichten für 2017 noch stärker trüben als die eine oder andere verlorene Landtagswahl.
Richtig ist aber auch: Merkel muss mehr tun für jene, die sich abgehängt fühlen. Einfach, weil viele tatsächlich abgehängt sind. Wer in Gegenden wohnt, wo die Schulen verrotten, die Straßen zu Schlaglochpisten werden, wo niemand investiert, wo es keine Jobs und im Dorf nicht mal mehr einen Lebensmittelhandel gibt, der darf sich zu Recht vergessen und abgehängt fühlen.
Wo Menschen Perspektiven haben, hat die AfD keine Chance
In Frankreich wird der Front National überdurchschnittlich häufig in solchen Regionen gewählt, wo es keinen Anschluss an das Breitband-Internet gibt. Der Zugang zum schnellen Internet ist dort ein verlässlicher Indikator für Chancengleichheit, für Wirtschaftskraft, für Protestwahlverhalten.
Wenn Merkel die AfD kleinregieren will, dann reicht es nicht, die Flüchtlingspolitik zu erklären. Sie muss der AfD den Nährboden entziehen. Muss sich der Unzufriedenheit entgegenstemmen. Dann muss sie in Gegenden investieren, nach denen sonst kein Hahn mehr kräht.
Das geht aber nicht, wenn die schwarze Null im Bundeshaushalt weiter ein Heiligtum bleibt. Merkel muss wieder investieren, muss helfen, dass abgehängte Regionen neue Perspektiven bekommen. Es dürfte sich lohnen. Wo Menschen Perspektiven haben, hat die AfD weitaus weniger Chancen.