Süddeutsche Zeitung

Brexit:Wo die Solidarität ein Ende hat

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May und Merkel haben Respekt voreinander und zeigen sich oft solidarisch angesichts der teils unverschämten Attacken ihrer Gegner. Beim Brexit aber können sie einander nicht helfen.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Es spricht sehr viel dafür, dass Angela Merkel und Theresa May sich schätzen. Nicht, weil Angela Merkel den Brexit gut heißt oder Theresa May immer schon ein Fan der Bundesrepublik gewesen wäre. Aber die beiden Frauen, die in kompliziertesten Zeiten zwei der größten Länder Europas regieren, beobachten seit langem, in welch einem brutalen politischen Umfeld sich die andere behaupten muss und zur Wehr setzt.

Dabei dürfte Angela Merkel fürs Studium gegenwärtig noch etwas mehr Zeit haben als ihre Kollegin. Und die Kanzlerin wird dabei wahrscheinlich immer wieder leise Dankesgrüße gen Himmel schicken, dass sie sich in Berlin und nicht in London durchsetzen muss.

Wer auch nur ansatzweise mitbekommen hat, wie unflätig sich mancher Abgeordnete im britischen Parlament zuletzt gegenüber May benommen hat, der weiß, in was für einem Überlebenskampf die britische Premierministerin mittlerweile feststeckt.

Sicher es geht nach wie vor zuerst um eine historisch komplizierte Aufgabe. Und niemand kann im Augenblick sagen, wie die Brexit-Geschichte wirklich ausgeht. Aber das Ringen um eine für Großbritannien und für die EU akzeptablen Lösung wird auf der Insel längst vermischt mit gemeinsten persönlichen Attacken.

Abfälligkeiten, Aggressionen, Macho-Attitüden - mit allen politischen und psychologischen Tricks versuchen Boris Johnson und Co, die Premierministerin mürbe zu kriegen. Wer sich daran erinnert, wie viel Johnson versprochen und wie wenig er gehalten hat, kann darüber nur den Kopf schütteln. Aber die destruktiven Kräfte gehen nicht aus der Welt, nur weil sie unlogisch oder absurd erscheinen.

Auch Merkel kann darüber längst ein Lied singen. Sie kennt diese Tonlage und Aggression aus dem vergangenen Wahlkampf. Was im britischen Unterhaus die Anhänger eines harten Brexits sein mögen, sind in Deutschland die besonders garstigen, oft ehrverletzenden AfD-Politiker, die Merkel nicht nur kritisieren, sondern hassen - und dabei jeden Anstand verloren haben.

Aus diesem Grund sind sich die 64-jährige Merkel und die zwei Jahre jüngere May in den vergangenen Jahren immer näher gekommen. Gegenseitige Solidarität, gegenseitiger Respekt, ganz sicher auch das Gefühl von Loyalität prägen das Verhältnis der beiden. Sie beide könnten Bücher füllen mit Geschichten, die jede Frauenbewegung beflügeln und viele Männerkarrieren diskreditieren würden.

Und doch - ausgerechnet diese beiden Frauen werden sich in der akuten und dramatischen Krise um den Brexit kaum helfen können. May kann es sowieso nicht, weil sie alle Kraft ins eigene Überleben stecken muss und darüber hinaus keinerlei Spielraum mehr hat, um ein Entgegenkommen der EU an einer Stelle mit britischen Zugeständnissen an anderer Stelle auszugleichen. May kann bitten und fragen, sie kann erklären und um Hilfe rufen. Aber sie hat außer Chaos, Angst und Sorge nichts mehr zu bieten.

Für Merkel ist die Lage ein bisschen komfortabler, aber in der konkreten Frage kaum besser. Denn selbst wenn sie May ein großes Geschenk machen wollte - es ist ihr unmöglich geworden. Merkel führt zwar das größte und oft wichtigste Land in der Europäischen Union. Aber sie darf gegenüber den 26 anderen EU-Partnern nicht eine Sekunde lang das Gefühl aufkommen lassen, sie entscheide etwas über die Köpfe der anderen hinweg.

Spätestens seit dem heftigen Streit um Europas Flüchtlingspolitik darf und kann sie sich in der EU keinen Alleingang erlauben, der auch nur im Ansatz wie ein Alleingang aussehen könnte. Und so haben sich die beiden Frauen heute auf alle Fälle ihrer grundsätzlichen Solidarität versichert - und ansonsten die eigenen Grenzen bedauert.

Selten sind zwei Politikerinnen sich so nah gewesen und können sich doch so wenig helfen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich das noch einmal ändert. Ansonsten muss man Schlimmstes fürchten in einem Umfeld, in dem Männer wie Wladimir Putin, Donald Trump und Recep Tayyip Erdoğan die Stimmung und den Umgang miteinander prägen.

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