Süddeutsche Zeitung

Machtkampf in der Türkei:Premier gegen Prediger

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Steht der Türkei ein neuer politischer Tumult bevor? Erst werden Ministersöhne wegen des Verdachts auf Korruption verhaftet, dann verlieren leitende Polizeibeamte ihren Job. Es wächst der Verdacht, dass es bei diesem Skandal nicht nur um Bestechung und Schwarzgeld geht.

Ein Kommentar von Christiane Schlötzer, Istanbul

Zuerst werden drei Ministersöhne im Morgengrauen festgenommen, dazu ein Bürgermeister aus der Partei des Premiers, ein Baulöwe und der Chef einer Staatsbank, der angeblich 4,5 Millionen Dollar in Schuhkartons verwahrte. Die Vorwürfe: Bestechung, illegales Bauen, Geldwäsche und dubiose Goldgeschäfte mit Iran. All das ist schon spektakulär genug für die Türkei. Kaum 24 Stunden nach diesem Fischzug gegen Korruption aber sind auch noch fünf leitende Polizeibeamte in Istanbul ihren Job los. Offizielle Begründung: keine. Das lässt ahnen, dass der Türkei neuer politischer Tumult bevorsteht.

Der könnte das Land stärker und länger erschüttern als die Gezi-Park-Proteste, die der Türkei einen Sommer des zivilen Ungehorsams und liberalen Aufbruchs beschert haben. Denn nun weht Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan vom Bosporus ein eisiger Dezemberwind entgegen, der seine konservative AKP durcheinanderwirbeln könnte wie ein Wintersturm. Die Gezi-Demonstranten haben es immer gesagt: Bei Großbauten in Istanbul wird bestochen und betrogen, Firmen mit den richtigen Beziehungen - zur AKP - machen den großen Reibach. Naturschutz und Denkmalschutz zählen nicht. All das sagen nun auch die Staatsanwälte.

Alle Festgenommenen gehören zum inneren Kreis der AKP

Die Gezi-Bewegung darf sich also bestätigt fühlen. Nur: Kaum einer glaubt, dass es bei der Operation gegen die "Prinzen" (wie eine türkische Zeitung die Ministersöhne nennt) nur um Bakschisch für Beamte und Schwarzgeld in Schuhschachteln geht. Zudem betreffen die Vorwürfe sehr unterschiedliche Komplexe. Das einzig Verbindende scheint zu sein, dass alle Festgenommenen zum inneren Kreis der AKP gehörten oder dort wohlgelitten waren.

Daraus nährt sich ein Verdacht, der über die Verhaftungen hinausweist. Der hat mit einem Machtkampf zu tun, der auf Außenstehende bizarr wirken mag, das konservative Lager in der Türkei aber seit Wochen in Atem hält. Im Zentrum stehen Erdoğan und der türkische Prediger Fethullah Gülen, der seine weltweite Gemeinde aus dem US-Exil dirigiert. Um Religion geht es bei diesem Streit aber nicht, sondern um Einfluss und Gefolgschaft.

In der Justiz und Polizei der Türkei sollen Gülen-Freunde schon viele Posten erobert haben - so viele, dass es Erdoğan nicht mehr geheuer ist. Die Gülen-Anhänger standen daher offenbar schon länger unter besonderer Beobachtung des Staates. Die Festnahmen werden in der türkischen Öffentlichkeit daher auch als Racheakt an der Regierung interpretiert. Erdoğan fördert die Lesart, wenn er von "dunklen Kräften" in der Türkei spricht, vor denen er sich nicht beugen werde.

Verbindungen zu Iran

Die Flucht in Verschwörungstheorien aber ändert nichts daran, dass aufgeklärt werden muss, ob der Chef der staatlichen Halkbank einem iranischen Geschäftsmann bei der Geldwäsche half, wobei die Söhne des Innen- und des Wirtschaftsministers auf verschiedene Weise assistiert haben sollen. In Washington war schon länger negativ aufgefallen, dass die Türkei ihre Gas- und Öllieferungen aus Iran auf Umwegen bezahlt, seit Sanktionen Teheran vom Interbanken-System ausgeschlossen haben. Immer wieder wurden Kuriere mit Koffern voller Gold am Istanbuler Flughafen gesichtet. Deshalb ist es verwunderlich, dass man in Ankara von den fragwürdigen Aktivitäten nicht schon längst etwas gewusst haben will.

2014 ist ein Wahljahr in der Türkei, auch über einen neuen Präsidenten entscheidet das Volk. Einer der Hauptvorwürfe der Opposition gegen die AKP lautet seit Langem, elf Jahre absolute Macht hätten die Partei korrumpiert und eine Klasse von skrupellosen Neureichen gezüchtet. Auch wenn nur einige der nun Beschuldigten verurteilt werden, von der weißen Weste der AKP ist nicht mehr viel übrig geblieben.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2013
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