Süddeutsche Zeitung

Maas in Beirut:Hilfe unter Bedingungen

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20 Millionen Euro stellt die Bundesregierung nach der Explosion in Libanons Hauptstadt zur Verfügung. Um mehr Geld zu bekommen, müsse die Regierung nun Reformen anstoßen und gegen Korruption kämpfen.

Von Moritz Baumstieger und Dunja Ramadan, München

Unterstützung, aber keine bedingungslose: Wie andere internationale Spitzenpolitiker fordert Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) von der libanesischen Staatsführung deutliche Veränderungen ein, wenn sich die Bundesrepublik längerfristig mit Hilfe engagieren soll. Bei wirtschaftlichen Reformen und der Korruptionsbekämpfung müssten "Worten jetzt auch Taten folgen", sagte Maas, als er am Mittwoch den Hafen von Beirut besuchte, in dem am 4. August große Mengen Chemikalien explodiert waren. "Das hat sich auch auf der Straße in Beirut gezeigt, dass es nicht viel in diesem Land gibt, was bleiben kann, wie es ist", sagte Maas weiter - und spielte auf die Massendemonstrationen vom Wochenende an, bei denen sich die Wut vieler Bürger über das korrupte politische System entladen hatten.

Das brachte er auch Libanons Präsident Michel Aoun noch einmal nahe. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur NNA sagte dieser, sein Land sei dabei, die notwendigen Reformen umzusetzen. Zuvor hatte Maas zunächst das libanesische Rote Kreuz besucht. Hier übergab er einen Scheck in Höhe von einer Million Euro - das Geld ist der erste Teil der zugesagten deutschen Soforthilfe in Höhe von 20 Millionen Euro. Drei weitere Millionen stünden zur Auszahlung an UN-Institutionen bereit, so Maas. Im Gepäck hatte seine Delegation jedoch nicht nur den Scheck. In der Maschine, mit der Maas anreiste, waren zudem Hygieneartikel geladen.

Wie dringend diese benötigt werden, kann etwa der Mediziner Rafic Baddoura erzählen, der im Krankenhaus "Hôtel-Dieu" tätig ist, etwa drei Kilometer vom Hafen entfernt. Seit seine Arbeitsstelle am Tag der Explosion von Hilfesuchenden überrannt wurde, sagt er der Süddeutschen Zeitung am Telefon, "begreifen wir uns nicht mehr als Angestellte, die einigermaßen geordnete Arbeitszeiten haben". Die Kollegen und Kolleginnen arbeiteten durch, obwohl sie - "wie alle Libanesen" - unter Schock stünden.

Ein Thema, das nach der Explosion im Hafen mit ihren mittlerweile 171 Todesopfern und mehr als 6000 Verletzten zunächst hintenan stand, macht dem 64-Jährigen Mediziner jedoch zunehmend Sorgen: Covid-19. "Am Tag der Katastrophe haben wir erst die Notfälle behandelt, auf Corona-Regeln konnten wir da nicht mehr achten", sagt Baddoura. Mehr als die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen in Beirut sei nach der Detonation nicht mehr funktionsfähig, teilte die Weltgesundheitsorganisation WHO am Mittwoch mit. Schon vor den Explosionen, als nach dem Lockdown der Alltag zurückkehrte, der Flughafen und manche Cafés öffneten, sei ein Anstieg der Covid-19-Fälle zu bemerken gewesen, sagt Baddoura. Voller Betrieb herrschte in vielen Bars der Viertel Mar Mikhel, Gemmayzeh oder Aschrafieyeh wegen Corona am 4. August jedoch nicht. So hat das Virus, das sonst so gefährlich ist, wohl den Tod vieler verhindert. Seit den Explosionen sei nun ein abermaliger Anstieg zu verzeichnen, sagt Baddoura.

Seine Beobachtungen decken sich mit den Zahlen des Gesundheitsministeriums: Demnach verzeichnete das sechs Millionen Einwohner zählende Land am Dienstag mit sieben Todesfällen und 309 bestätigten Neuinfizierten einen neuen Rekord. Die steigende Infektionsrate erklärt der Mediziner Baddoura so: "Wenn jemand blutend auf der Straße liegt, denkt man nicht mehr an Abstandsregeln", sagt er. "Dann entscheidet man in Sekundenschnelle, weil es um Leben und Tod geht." Dann folgten die Aufräumarbeiten, bei denen viele Freiwillige anpackten und die wütenden Proteste Tausender in der Innenstadt - bei beiden Gelegenheiten kam es zu großem Gedränge. Und für die mehr als 300 000 Menschen, die durch die Explosion obdachlos wurden, wird es nicht leichter, die angemahnten Hygieneregeln einzuhalten.

Baddoura hofft, dass die Explosion das Ende der libanesischen Dauerkatastrophe einläutet. Jetzt müsse sich was ändern, die Lage in den Krankenhäusern etwa war schon zuvor desaströs. Diese Region leide an so vielen "Krankheitssymptomen", so die Diagnose des Arztes.

Die Container müssen nun über den Hafen Tripoli im Norden umgeleitet werden, sagt Aigner

Damit jedoch die von Baddoura, seinen Kollegen und von den vielen notleidenden Bürgern dringend benötigten Hilfsgüter ins Land kommen können, müssen die Importwege nach Libanon wieder reibungsfrei funktionieren. Nachdem viele Experten zunächst davon ausgingen, dass der Hafen von Beirut in Gänze zerstört sei, gibt es zumindest hier eine gute Nachricht: Die Containerterminals sind weniger schlimm betroffen, als bisher angenommen, "sie sind zu 80 Prozent betriebsfähig", bestätigt der Deutsche Wolfgang Aigner der SZ am Telefon. Aigner ist im Beiruter Hafen als Missionschef der Unodc tätig, dem UN-Büro zur Drogen- und Verbrechensbekämpfung, zum Zeitpunkt der Explosion war er glücklicherweise nicht am Arbeitsplatz, überlebte in seiner nahen Wohnung. Nun gehe es vor allem darum, sagt Aigner, dass die Container, die nicht in Beirut entladen werden können, über den Hafen Tripoli im Norden des Landes umgeleitet werden können.

Der Beiruter Hafen sei jedoch in der aktuellen Notsituation von allergrößter Bedeutung, "gerade, um dem Land wieder auf die Beine zu helfen, damit es wieder ein Handelszentrum im östlichen Mittelmeer werden kann", so Aigner. Das erfordere, "dass die Sachen schnell und sicher reinkommen", was aus Sicht des Drogen- und Kriminalitätsbekämpfers vor allem ein transparentes Zollsystem und eine valide Risikoanalyse der Container umfasse. Reformbedarf, das hat spätestens die unsachgemäße Lagerung der nun explodierten 2750 Tonnen Ammoniumnitrat gezeigt, gibt es in Libanon weit über das politische System hinaus - er fängt in dem Hafen an, in dem Heiko Maas am Mittwoch seine mahnenden Worte sprach.

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SZ vom 13.08.2020
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