Süddeutsche Zeitung

Bundestagspräsident:Lammert: Auch befangene Abgeordnete dürfen abstimmen

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Von Robert Roßmann, Berlin

Stephan Harbarth gehört zweifelsohne nicht zu den bekanntesten Abgeordneten. Der CDU-Politiker vertritt den Wahlkreis Rhein-Neckar im Bundestag. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem legendären Geheimdienst-Koordinator Bernd "008" Schmidbauer, ist er dort aber noch nicht sonderlich aufgefallen. Harbarth ist zwar Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, aber mit derlei Aufgaben schafft man es nicht in die Tagesschau.

Doch jetzt hat ausgerechnet dieser Stephan Harbarth eine Debatte ausgelöst, die eine Kernfrage des Parlamentarismus berührt: Darf sich ein Abgeordneter auch an einer Abstimmung beteiligen, wenn er befangen ist?

Harbarth sitzt nicht nur im Bundestag, sondern arbeitet auch ziemlich erfolgreich als Rechtsanwalt. Er ist Vorstandsmitglied der Kanzlei "SZA Schilling, Zutt & Anschütz", im Bundestagshandbuch weist er allein für diese Tätigkeit Nebeneinkünfte von mehr als 250 000 Euro jährlich aus. Ausgerechnet diese Kanzlei wurde von Volkswagen mandatiert, um dem Konzern in der Abgasaffäre zu helfen - womit wir beim Problem wären.

Mit der Stimme Harbarths wurde VW von der Tagesordnung genommen

Weil von den Manipulationen bei VW Millionen deutscher Verbraucher betroffen sind, sollte auch der Rechts- und Verbraucher-Ausschuss darüber diskutieren. Vor allem die Grünen wollten von der Regierung Näheres zu dem Skandal erfahren.

Doch daraus wurde nichts, denn gleich zu Beginn der Sitzung beantragte eine Vertreterin der Unionsriege im Ausschuss, deren Chef Harbarth als Obmann ist, den bereits eingeplanten Tagesordnungspunkt abzusetzen. Die Abgeordneten der großen Koalition nahmen das Thema VW daraufhin von der Tagesordnung - mit der Stimme Harbarths.

Über diesen Vorgang hatte die Süddeutsche Zeitung Mitte Oktober berichtet. Die Grünen waren damals gewaltig empört. Sie erklärten, der CDU-Abgeordnete "hätte keinesfalls an der Abstimmung teilnehmen dürfen". Die Linken wollten es nicht beim Protest belassen. Ihre Rechtspolitiker Caren Lay und Harald Petzold wandten sich deshalb mit Verweis auf den SZ-Artikel an den Bundestagspräsidenten und baten ihn um eine Prüfung, "wie geregelt werden kann, dass künftig bei derartiger Befangenheit Abgeordnete nicht mehr an der Abstimmung . . . teilnehmen".

Der Bundestagspräsident ist gegen eine Befangenheitsregelung

Jetzt hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) geantwortet. Das Ergebnis seiner Prüfung ist zumindest für die Linken ziemlich enttäuschend. Lammert verweist in seinem Brief auf jahrzehntealte "Auslegungsentscheidungen" des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Demnach gebe es "nach geltendem Recht keine zwingenden Gründe für einen Ausschluss von Stimmrechten eines Abgeordneten bei Entscheidungen des Bundestages, die diesen selbst begünstigen können", schreibt Lammert.

Der Bundestagspräsident findet das auch nicht schlimm. Gegen eine Befangenheitsregelung spreche "insbesondere, dass bei der Behandlung allgemeiner Gesetze stets eine Betroffenheit (fast) aller Abgeordneten vorliegen kann".

Für Caren Lay ist diese Rechtslage trotzdem "ein Unding". Die stellvertretende Fraktionschefin der Linken findet, dass "im Bundestag deshalb jetzt dringend eine Befangenheitsregelung eingeführt werden muss".

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Quelle:
SZ vom 24.11.2015
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