Süddeutsche Zeitung

Kretschmann regiert Baden-Württemberg:Landesvater in Grün

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Das Zittern ist vorbei: Winfried Kretschmann ist der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands - und das sogar mit Stimmen aus der Opposition. Grün-Rot habe nun die Chance zu zeigen, "dass es ein Zukunftsmodell ist", erklärte der neue Landesvater. Diese Chance will er nutzen - ohne zu polarisieren.

Roman Deininger

Winfried Kretschmann wirkt angespannt. Immer wieder blättert der Grünen-Politiker in seinen Unterlagen, beugt sich vor und zurück. Der 62-Jährige sitzt im Plenum des Stuttgarter Landtags auf dem Stuhl des Fraktionsvorsitzenden und wartet darauf, Geschichte zu schreiben. Er will zum ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands gewählt werden.

Kurz nach halb zwölf wird das Ergebnis verkündet: Kretschmann erhält 73 von 138 Stimmen. Das bedeutet, dass auch zwei Abgeordnete der Opposition für den Lehrer für Ethik, Biologie und Chemie gestimmt haben. Dabei ist die grün-rote Mehrheit so knapp, dass sich die neuen Koalitionspartner lediglich einen Abweichler hätten leisten können.

Doch nun entlädt sich die Anspannung, aus den Reihen der Abgeordneten von Grünen und SPD sind begeisterte Rufe zu hören. Minutenlanges rhythmisches Klatschen setzt ein, während auf der Tribüne Kretschmanns Ehefrau Gerlinde jubelnd aufspringt und ihre fünf Schwestern umarmt.

Einer der ersten Gratulanten ist Stefan Mappus, Kretschmanns Vorgänger von der CDU. 58 Jahre lang hatte die CDU in Baden-Württemberg regiert, nun stellt sie nur noch den Landtagspräsidenten. Dieses Amt hat seit dem gestrigen Mittwoch Willi Stächele inne und er nimmt Kretschmann den Amtseid ab. Anders als mancher Parteifreund, der bereits Regierungsverantwortung trug, beendet der gläubige Christ Kretschmann den Eid mit der Formel "so wahr mir Gott helfe".

Danach geht Kretschmann zur Regierungsbank und blickt in jenes Rund, in dem er 13 Jahre Fraktionschef war. Die Erleichterung ist ihm anzusehen - vor der Abstimmung hatte er sogar mahnend an die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis erinnert, die 2005 nach vier gescheiterten Wahlgängen aufgab.

Er sprach auch den Fall seines Vorvorvorgängers Erwin Teufel an, der in Stuttgart zwei Anläufe brauchte. Teufel hatte damals ein paar Parteifreunde bei der Postenvergabe übergangen - und das sei doch bei Kretschmann nicht anders gewesen, hatten einige Sozialdemokraten im Vorfeld geunkt.

Kretschmann will nicht polarisieren

Der neue Landesvater sieht die zwei Stimmen aus der Opposition als Auftrag, nicht zu polarisieren, sondern für Zusammenhalt zu sorgen. Die Erwartungen an die neue Landesregierung seien "sehr hoch", sagte er dem SWR. Grün-Rot habe aber auch die Chance zu zeigen, "dass es ein Zukunftsmodell ist". Die große Aufgabe dieses Jahrhunderts sei es, die Lebensgrundlagen der Menschen nicht weiter zu gefährden und trotzdem sozialen Frieden und Wohlstand zu sichern.

Auch der SPD-Landeschef Nils Schmid, der künftig für Wirtschaft und Finanzen zuständig ist, zeigt sich sehr zufrieden: "Einen besseren Start kann man sich kaum denken." Kretschmann sei eine "Persönlichkeit, die über Parteigrenzen hinweg Anerkennung gewonnen hat".

Grünen-Chefin Claudia Roth ist extra nach Stuttgart gereist, um bei diesem "historischen Moment" dabei zu sein. Sie spricht von einem "Hochgefühl" und sieht es als "gutes Signal", dass Kretschmann auch Stimmen aus der Opposition bekommen habe. In Baden-Württemberg gebe es so "große Gräben" und Kretschmann habe es sich ja zum Ziel gesetzt, zusammenzuführen, sagte Roth der Nachrichtenagentur dapd.

Das weitere Treiben im Landtag konnte der erste grüne Regierungschef dann ganz entspannt verfolgen: Am Nachmittag wurden die Minister vereidigt - mit der Mehrheit von Grünen und SPD. Die Opposition aus CDU und FDP votierte gegen die neuen Minister, diesmal geschlossen.

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