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Türkei:Bürgermeister von Istanbul erklärt sich zum Wahlsieger

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Der Sieg von Ekrem İmamoğlu ist ein herber Rückschlag für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Auch im Rest des Landes schneidet seine Partei AKP bei den Kommunalwahlen schlecht ab.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Bei den Kommunalwahlen in der Türkei hat die größte Oppositionspartei CHP nach eigenen Angaben das Bürgermeisteramt von Istanbul verteidigt. Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu erklärte sich zum Wahlsieger in der nach Einwohnern und Wirtschaftskraft größten Stadt der Türkei. Nach der Auszählung der Stimmzettel aus 96 Prozent der Wahlurnen liege er mit mehr als einer Million Stimmen vorn, erklärte der CHP-Politiker. İmamoğlu gilt als möglicher Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2028. Die AKP, die Partei des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, hatte in Istanbul den früheren Umweltminister Murat Kurum ins Rennen geschickt.

Für Erdoğan ist der Abend, kein ganzes Jahr nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2023, eine schwere Niederlage. Seine AKP scheitert nicht nur daran, das Rathaus von Istanbul zu gewinnen, das İmamoğlu ihr vor fünf Jahren erstmals nahm. Mit İmamoğlu, der noch besser abschneidet als damals, hat Erdoğan zum ersten Mal einen ernsthaften Gegner. Der trat bei diesen Kommunalwahlen zwar nur in Istanbul an, agierte aber als heimlicher Spitzenkandidat der Opposition - auch, weil Erdoğan den Istanbuler Wahlkampf zu seiner persönlichen Sache machte.

Ebenso tourte Erdoğan in den vergangenen Wochen durchs ganze Land, durch jede der 81 Provinzen. So wurden die Wahlen zu einer Abstimmung über ihn selbst, und er verlor auch landesweit: Wie es aussieht, liegt seine AKP hinter der CHP. Letztere wurde laut vorläufigen Zahlen mit 37,6 Prozent landesweit stärkste Kraft. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu nach mehr als 98 Prozent ausgezählter Stimmen. Die AKP kam auf 35,7 Prozent. Sollte sich das Ergebnis offiziell bestätigen, wäre die AKP erstmals seit ihrer Gründung 2002 in einer Kommunalwahl nur zweitstärkste Kraft.

Islamistische Partei nimmt Erdoğan Stimmen aus dem eigenen Lager

In der Hauptstadt Ankara feiert die Opposition einen Erdrutschsieg, genauso in ihren Hochburgen an der Mittelmeerküste. Aber auch im anatolischen Hinterland sieht die Karte an diesem Wahlabend deutlich anders aus als bei den früheren Wahlen: Vergangenes Jahr holte Erdoğan seinen Sieg dort, auf dem Land - jetzt fallen viele konservative Städte und Provinzen entweder an die Opposition oder an die "Yeniden Refah Parti", eine islamistische Partei, die dem Präsidenten Stimmen aus dem eigenen Lager nahm.

Die Türkei wachte am Montag also mit einer neuen Parteienlandschaft auf. Die AKP liegt hinter der oppositionellen CHP, die ultrarechte MHP, die mit Erdoğan koaliert, schafft nur noch rund fünf Prozent. Kleinere Parteien, die vergangenes Jahr die Oppositionskoalition stützten, sind kaum noch existent. Und neben der CHP ist als oppositionelle Kraft nur noch die prokurdische DEM übrig. Die blieb nur deswegen bei bloß fünf Prozent, weil ihre Wählerinnen und Wähler sich aus strategischen Gründen für Kandidaten der CHP entschieden - wie eben Ekrem İmamoğlu.

Die türkische Politik wird sich jetzt um ihn und Präsident Erdoğan drehen. Theoretisch könnte Erdoğan ihn noch juristisch aus dem Bürgermeisteramt entfernen, gegen İmamoğlu liegt ein politisches Urteil zu Haft und Politikverbot vor, das seit 2022 nicht rechtskräftig geworden ist. Angesichts der Wucht von İmamoğlus Sieg ist das allerdings unwahrscheinlich.

Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters

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