Süddeutsche Zeitung

Umwelt:Deutschland bekommt ein Klimakabinett

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Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Wer am Donnerstag ins Kanzleramt will, kommt an diesem Totalschaden nicht vorbei. Greenpeace hat ihn installiert: Ein Auto, das sich scheinbar in die Straße direkt vor Angela Merkels Einfahrt gebohrt hat. "Bitte wenden", steht auf der Beifahrertür. Den Schaden sehen die Umweltschützer allerdings weniger an dem Fahrzeug als an der deutschen Verkehrs- und Klimapolitik.

Aufgebaut ist das Auto für ein erstes Spitzentreffen am Nachmittag, bei dem es vor allem um die Zukunft der Autoindustrie geht - in Zeiten von Klimaschutz und Elektromobilität. Dabei wird es am Abend noch interessanter in Sachen Wende: Da beraten die Spitzen der Koalition über den Kampf gegen die Erderwärmung, und am Ende steht eine Art Klimarat von Ministern: "Die Bundesregierung wird ein Klimakabinett bilden, um die rechtlich verbindliche Umsetzung der Klimaschutzziele für das Jahr 2030 vorzubereiten", heißt es in einem Ergebnispapier des Koalitionsausschusses. Angehören sollen diesem Kabinett alle betroffenen Minister, also etwa die Umweltministerin, der Verkehrsminister, der Bauminister, der Minister für Wirtschaft, und jener der Finanzen. Details sollen noch folgen.

Gemeinsam sollen die Minister einen Plan aufstellen, wie sich die Klimaziele für 2030 erreichen lassen, wenn Deutschland mindestens 55 Prozent weniger Treibhausgase verursachen soll als 1990. Bisher gibt es einen solchen Plan nur von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Ihr Entwurf für ein Klimaschutzgesetz weist den einzelnen Ministerien die Verantwortung für den Klimaschutz zu. Erreichen sie die Vorgaben für 2030 nicht, müssen sie Strafzahlungen aus ihrem Haushalt bestreiten. Doch in der Union traf der Entwurf auf erbitterten Widerstand. Seit Wochen setzt er im Kanzleramt Staub an.

Diesem Patt kann das Klimakabinett nun entgehen. Der Zeitdruck allerdings bleibt, auch für das Klimakabinett. "Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, werden wir in diesem Jahr die gesetzlichen Regelungen verabschieden", heißt es in dem Ergebnispapier des Spitzentreffens. So war es auch im Koalitionsvertrag vereinbart.

Die Koalition will in regelmäßigen Spitzengesprächen die Zukunft der Autoindustrie sichern

Auch die Autoindustrie findet sich in der Einigung vom Donnerstagabend wieder - allerdings anders, als Greenpeace sich das wünschte. "Angesichts der schnellen und tiefgreifenden Veränderungen in der Automobilwirtschaft" solle es eine "konzertierte Aktion Mobilität" geben, mit regelmäßigen Spitzengesprächen zwischen der Koalition und der Autoindustrie. Ziel der Koalition sei es, "Deutschland als weltweit führenden Standort der Automobilindustrie zu sichern sowie Vorreiter darin zu sein, die Infrastruktur und die Regulierung an die Anforderungen moderner Mobilität anzupassen." SPD-Chefin Andrea Nahles hatte einen solchen Pakt ins Gespräch gebracht.

Noch am Nachmittag, kurz vor Beginn des Koalitionsgipfels, hatte Merkel zuständige Minister und Experten zu einem eigenen Verkehrsgipfel geladen. Hintergrund war auch hier die Klimapolitik, genauer: die unsichere Zukunft des Verbrenners. Obendrein ist derzeit nirgends die Klimabilanz so mies wie im Verkehrsbereich: Statt zu fallen, sind hier die Emissionen zuletzt noch gestiegen. Dabei soll laut Regierungsbeschluss der CO₂-Ausstoß im Verkehr bis 2030 um mindestens 40 Prozent sinken. Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD verabredet, dass "zeitlich parallel" zur inzwischen abgeschlossenen Arbeit der Kohlekommission auch für die Sektoren Bau und Verkehr Pläne erarbeitet werden. Bisher fehlen diese Pläne aber noch.

Wohl aber gibt es einen Plan für die Kohlekraftwerke, die bis spätestens 2038 alle vom Netz gehen sollen. "Parallel zur Gesetzgebung zum Ausstieg aus der Kohleverstromung", so beschloss die Koalition nun, wolle sie Vorsorge dafür treffen, dass es an bezahlbarem Strom nie mangelt. Nötig seien dafür "ein leistungsfähiges Strom- und Gasnetz sowie alternative Erzeugungs- und Kraftwerkskapazitäten, insbesondere im Bereich Gas sowie Wasserstoff", heißt es.

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SZ vom 15.03.2019
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