Süddeutsche Zeitung

Klimafonds:Milliarden gesucht

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Nach dem Karlsruher Urteil begibt sich die Koalition auf die Suche nach frischem Geld. Der Finanzminister will mehr sparen, die SPD-Chefin die Schuldenbremse aussetzen. Oder gibt es neue Einnahmequellen?

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Christian Lindner wäre nicht Christian Lindner, wenn er nicht noch eine kleine Gemeinheit platziert hätte. Er selbst, sagt der FDP-Chef und Finanzminister, hätte ja gerne die vergünstigte Mehrwertsteuer für die Gastronomie verlängert. "SPD und Grüne hatten aber andere Prioritäten." Mehr noch: "Ich verstehe, dass viele das bedauern", sagt Lindner am Wochenende in einem Interview mit der Bild am Sonntag. Für die Stimmung in einer Koalition, deren größtes Problem seit voriger Woche Milliardenlöcher sind, ist das, nun ja, nicht unbedingt eine Hilfe.

An die 60 Milliarden Euro fehlen, seit die Verfassungsrichter am Mittwoch die Umwidmung von Corona-Hilfen für den Klima- und Transformationsfonds kippten. Vor allem längerfristige Projekte sind nun bedroht, etwa für den Umbau der Industrie. Nach ersten Schätzungen, so heißt es aus Kreisen des Bundeswirtschaftsministeriums, könne der Wegfall von Investitionsmitteln allein 2024 das Wachstum um einen halben Prozentpunkt schrumpfen lassen. Von den 1,3 Prozent, die das Ministerium derzeit für das kommende Jahr prognostiziert, wären damit noch 0,8 Prozent übrig. Aber: Woher die Milliarden nehmen, und nicht stehlen?

Für Lindner ist die Sache klar. "Wir werden jetzt gezwungen, mit weniger öffentlichen Mitteln die Wirtschaft zu modernisieren", sagt er. Langfristig könne sich der Staat damit sogar Vorteile erarbeiten, etwa durch weniger Bürokratie und eine "agilere Verwaltung". Das Urteil sei ein Wendepunkt. "Es liegt an uns, ob das ein Risiko oder eine Chance ist", findet Lindner. Mit anderen Worten: Mehr Geld gibt es nicht, und an die Schuldenbremse will er auch nicht ran. "Wir müssen jetzt mit weniger Geld wirksamere Politik machen", rät der Finanzminister. Was womöglich einfacher klingt, als es ist.

Die Schuldenbremse deckelt bisher die zulässige Nettokreditaufnahme auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Allerdings lässt Artikel 115 des Grundgesetzes auch eine Hintertür, nämlich bei "Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen". Zählen dazu auch noch die Ausläufer der Energiekrise?

"Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif", warnt SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch

SPD-Chefin Saskia Esken ist diesem Gedanken nicht abgeneigt. "Da wir uns durch äußere Einflüsse in einer fortdauernden krisenhaften Situation befinden, plädiere ich auch weiterhin dafür, die Schuldenbremse für 2023 und 2024 auszusetzen", sagte Esken am Wochenende den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Entsprechend äußerte sich auch die Münchner Ökonomin und Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. Allerdings müsste einen entsprechenden Beschluss auch der Koalitionspartner FDP mittragen. Mehr noch: Auch eine Reform der Schuldenbremse sei "unausweichlich", verlangt Esken. Im Leitantrag für den bevorstehenden SPD-Parteitag wird die Schuldenbremse als "Standort- und Wohlstandsrisiko für Deutschland" bezeichnet. Allerdings wäre die Koalition auf die Union angewiesen, wollte sie die Schuldenbremsen-Regeln im Grundgesetz ändern. Doch deren Bereitschaft, die Koalition nun aus dem finanziellen Schwitzkasten zu lassen, dürfte nach dem Erfolg in Karlsruhe überschaubar sein.

Blieben noch zusätzliche Einnahmen. Der Abbau umweltschädlicher Subventionen käme infrage, wie sie das Umweltbundesamt zuletzt für 2018 auf 65 Milliarden Euro taxierte. Allerdings setzt auch dies eine Einigung in der Koalition voraus, und die FDP betrachtet den Abbau dieser Subventionen - etwa für Dienstwagen, Diesel oder den Wohnungsbau - als verkappte Steuererhöhung. Obendrein hatte die Koalition einige dieser Subventionen gerade erst verlängert, um die Industrie von Stromkosten zu entlasten.

Doch ohne Geld geht es nicht, warnt SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch. "Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif - der Umbau unserer Energieversorgung, unserer Wirtschaft, unserer Heizungen und Verkehrssysteme kostet Milliarden", sagt Miersch der Süddeutschen Zeitung. Und schließlich gebe es auch noch ein anderes Urteil des Bundesverfassungsgerichts - nämlich jenes von 2021, das auf Vorsorge beim Klima zum Schutz künftiger Generationen pochte. "Wir brauchen deshalb gewaltige Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Wasserstoff."

Zugleich warnt er davor, zur Finanzierung auch einen höheren CO₂-Preis heranzuziehen, wie dies Klimaexperten vorschlagen. Dies könne bestimmte Personengruppen härter treffen als andere und gefährde die Akzeptanz für die Klimapolitik. "Ein explodierender CO₂-Preis ist ein AfD-Konjunkturprogramm", sagt Miersch. "Was das für den Klimaschutz bedeutet, muss jedem klar sein." Ursprünglich war geplant gewesen, die Einnahmen aus dem CO₂-Preis als "Klimageld" an die Bürgerinnen und Bürger zurückzuzahlen. Ob dies nach dem Karlsruher Klimafonds-Urteil noch möglich ist, ist allerdings fraglich.

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