Süddeutsche Zeitung

Familienpolitik:Wie Kinderarmut künftig bekämpft werden soll

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Es ist eines der wichtigsten sozialpolitischen Projekte der Ampelkoalition: Das Bundesfamilienministerium legt Eckpunkte der Kindergrundsicherung vor.

Von Roland Preuß und Katharina Riehl

Die Kindergrundsicherung gilt als eines der wichtigsten sozialpolitischen Projekte der Ampelregierung und als das zentrale politische Vorhaben von Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Seit diesem Donnerstag ist nun ein Eckpunktepapier zur Kindergrundsicherung in der Welt, das vom Bundesfamilienministerium an die anderen beteiligten Ressorts verschickt wurde und das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Involviert sind Finanz-, Arbeits-, Bildungs- und Bauministerium. Das Gesetzgebungsverfahren, heißt es darin, solle nach der Sommerpause 2023 begonnen werden.

Die Kindergrundsicherung soll die zahlreichen Leistungen bündeln, die es für Kinder in Deutschland gibt, die viele Eltern aber teilweise nicht kennen und deshalb nicht in Anspruch nehmen. Konkret soll die neue Leistung aus zwei Komponenten bestehen: einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der das heutige Kindergeld von monatlich 250 Euro pro Kind ersetzt und mindestens so hoch sein soll, sowie einem nach Alter gestaffelten Zusatzbeitrag, der vom Einkommen des Kindes und der Eltern abhängt.

Erklärtes Ziel ist, Kinderarmut zu bekämpfen, indem es höhere Leistungen gibt und mehr Kinder staatlich unterstützt werden. Die Höhe der Kindergrundsicherung soll allerdings erst später festgelegt werden. Zudem sollen laut dem Eckpunktepapier mehr Anreize geschaffen werden, zu arbeiten. Bisher kann es durch den Wegfall mehrerer Sozialleistungen zu hohen Abzügen kommen, wenn jemand mehr Geld verdient.

Familien sollen dem Geld nicht hinterherlaufen müssen

Mit dem neuen Modell soll auch mehr Verteilungsgerechtigkeit erreicht werden, indem der Garantiebetrag der Kindergrundsicherung perspektivisch genauso hoch sein soll wie die maximale steuerliche Entlastung durch den Kinderfreibetrag. Heute profitieren besonders Spitzenverdiener davon, dass der steuerliche Kinderfreibetrag über dem Kindergeld liegen kann, das heißt, sie sparen mehr Steuern, als andere an Kindergeld erhalten.

Neben der Höhe der Leistungen ist für Paus der leichtere Zugang entscheidend: Eine einfache Einkommensprüfung und die Bündelung verschiedener sozialpolitischer Leistungen, heißt es in dem Papier, soll es den Antragstellern leichter machen. Ein automatisierter sogenannter Kindergrundsicherungs-Check soll demnach mit den von der Finanzverwaltung bereitgestellten Steuerdaten abgleichen, ob möglicherweise Anspruch auf den Zusatzbetrag besteht. Eine neue Kindergrundsicherungsstelle, die eingerichtet werden soll, würde potenziell berechtigte Eltern informieren, dass sie einen Antrag auf den Zusatzbetrag stellen können. "Wir wollen, dass Familien dem Geld nicht hinterherlaufen müssen", sagte Paus im Dezember der FAZ. Derzeit müssen Kindergeld, Kinderzuschlag und Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket an unterschiedlichen Stellen beantragt werden, bei der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit oder bei kommunalen Ämtern und Jobcentern.

Letztlich soll die Kindergrundsicherung auch die Leistungen für Kinder im Bürgergeld, in der Sozialhilfe und im Asylverfahren bündeln und ersetzen.

Versuche, die verschiedenen Leistungen für Kinder in Deutschland zu evaluieren und zusammenzuführen, gab es im Familienministerium schon vor Jahren, unter Ursula von der Leyen (CDU) sollte das Dickicht der Leistungen durchforstet und geprüft werden, was davon eigentlich sinnvoll ist und was sich möglicherweise gegenseitig ausschließt. Mehrere Kommissionen wurden zu diesem Zweck eingesetzt; es entstand eine Tabelle mit etwa 150 ehe- und familienbezogenen Leistungen, die etwa die Witwenrente und die beitragsfreie Mitversicherung bei der Krankenkasse umfassten. Konkrete Folgen hatten diese Evaluierungen allerdings nicht.

Mit dem Versprechen, in dieser Legislaturperiode nun endlich eine Vereinfachung auf den Weg zu bringen und die finanzielle Situation bedürftiger Kinder damit konkret zu verbessern, war die damalige grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock offensiv im Wahlkampf aufgetreten. Schon die erste Familienministerin der Ampelkoalition, Anne Spiegel (Grüne), hatte die Kindergrundsicherung als wichtiges Projekt der Koalition hervorgehoben - ihre Nachfolgerin Lisa Paus, die sich als grüne Finanzpolitikerin im Bundestag schon seit Jahren mit dem Thema beschäftigt, erhob sie zum Kernanliegen ihrer Amtszeit. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte noch kurz vor dem Jahreswechsel in einem internen Ministeriumspapier festgehalten, bei der Ausgestaltung der Kindergrundsicherung bestehe "die erhebliche Gefahr, dass aus guten Motiven die Arbeitsanreize für Geringqualifizierte beeinträchtigt werden".

Aktuell leben etwa 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland von staatlichen Leistungen zur Existenzsicherung, davon 1,6 Millionen trotz Erwerbstätigkeit der Eltern. Das betrifft rund jedes fünfte Kind. Im Jahr 2025 soll die Kindergrundsicherung erstmals ausgezahlt werden.

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