Süddeutsche Zeitung

Karneval in Köln:Chaos im Kwartier

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Köln will die Auswüchse im Karneval im Studentenviertel entschärfen und gibt dafür viel Geld aus. Lob gibt es dafür nicht, viele halten das für die falsche Maßnahme.

Von Christian Wernicke, Köln

Zwei Mal im Jahr hat Köln ein Problem, das andere Städte gerne hätten: Die Metropole am Rhein ist zu beliebt. An jedem 11.11. schon Stunden vor 11.11 Uhr sowie an jedem "Wieverfastelovend" (Weiberfastnacht) brechen Zehntausende meist junge, trinkfreudige Menschen auf ins Studentenviertel. Um dort, im sogenannten Kwartier Latäng, Karneval zu feiern.

Oder jedenfalls das, was sie für Karneval halten. Ur-Kölner und Alt-Jecken mögen mit Abscheu auf die Szenen (und manche ihrer eigenen Kinder) blicken, es hilft nichts: Auch an diesem Donnerstag werden bereits am Vormittag wieder Teenager durch die Zülpicher Straße torkeln, sich im Gebüsch an den Uni-Wiesen erbrechen oder als Wildpinkler in Hauseingängen stehen. Spätestens gegen Mittag wird das vorsorglich eingezäunte Veedel dann wahrscheinlich von Ordnern und Polizei abgeriegelt - wegen Überfüllung sämtlicher Kneipen und aller Straßen.

Dass es so nicht weitergehen kann, so weit sind sich Anwohner, Wirte und Stadtpolitikerinnen einig. Nur - wie dann? Der Stadtverwaltung ist diesmal nichts wirklich Neues eingefallen: Um die Massen, die nicht mehr ins verrammelte Kwartier Latäng gelangen, bei Laune zu halten, hat man im nahen Grüngürtel eine Ausweichfläche angelegt. Wieder. Ablenkung per Umlenkung, diese Idee verfolgt Köln seit Jahren - und nun entschlossener denn je: Notfalls bis zu 50 000 Menschen sollen auf den Uni-Wiesen bespaßt werden, mit DJ, turmhohen Boxen, Bierständen und Brezel-Buden. Weil dieser Grüngürtel aber eigentlich ein Landschaftsschutzgebiet ist, legt die Stadt noch 500 000 Euro drauf - und gräuliche Plastikplatten auf den Rasen.

Das Rathaus werde zum Sponsor eines "ungehemmten Jugend-sauf-Festivals", sagt ein Wirtesprecher

Prompt hagelt es Kritik. "Chaos mit Ansage" sei das, schimpft etwa Markus Vogt, Sprecher der allermeisten Wirte im Kwartier Latäng, das Rathaus werde damit zum Sponsor eines "ungehemmten Jugend-sauf-Festivals". Bürgerverein wie Bezirksvertreter lehnen die Ausweichparty ab. Vor allem fürchten sie, die Strategie der Stadt werde letztlich nur noch mehr Besucher anlocken. "Das spricht sich rum unter den Jugendlichen", glaubt Markus Vogt. "Beim nächsten Mal kommen dann noch mehr."

Stadtdirektorin Blome hält diese Sicht für "eine Umkehr von Ursache und Wirkung". Das Kwartier Latäng, so Blome, gelte nun mal "unter jungen Leuten als the place to be". Was drohe, wenn die Stadt einmal keine Ausweichfläche bereitstelle, habe man doch vor drei Monaten erlebt, am 11.11. 2022: Jugendliche rissen Sperren um, kletterten über Zäune und sogar über einen vielbefahrenen Bahndamm, um im Zülpicher Viertel mitzufeiern. Weshalb Blome ergänzt: Disco, Speis und Trank im Grüngürtel sei "keine Veranstaltung - dies ist eine Maßnahme der Gefahrenabwehr".

Mag sein, dass es diesmal noch gut gehe - "hoffentlich", sagt Gastwirt Vogt. "Aber die Stadt wird die Geister nicht mehr los, die sie selbst ruft." Spätestens in neun Monaten, beim nächsten 11.11., werde das Gedränge dann noch dichter sein. Tatsächlich wird der Beginn der Session nirgendwo in Deutschland so exzessiv gefeiert wie in Köln; dann rollen sogar Busse aus Belgien und den Niederlanden vors Kwartier Latäng. Vogt verlangt, die Last der jungen Jecken gerechter über die Stadt zu verteilen. Andernfalls will er im November seine beiden Kneipen abschließen. Und fliehen.

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