Süddeutsche Zeitung

Merkel-Nachfolge:Gesucht wird ein Teamkapitän, kein Alleskönner

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Liberal und konservativ, sozial und zugleich Wirtschaftsexperte, die AfD bekämpfen und bei Grünen-Wählern punkten: Derzeit wollen die Kandidaten für den CDU-Vorsitz alles gleichzeitig. Das kann nicht klappen.

Von Stefan Braun, Berlin

Der Traum von der eierlegenden Wollmilchsau ist noch nie Wirklichkeit geworden - und wird doch immer wieder bemüht, wenn für Spitzenämter neue Personen gesucht werden. Die oder der Neue soll der Allerbeste sein, aber bloß nicht arrogant auftreten; sie oder er soll ehrgeizig sein und doch herzlich im Umgang; sie oder er sollen technisch alles wissen und zugleich soziale Kompetenz mitbringen. So wünscht man sich das. Und so kommt es im Leben so gut wie nie.

Das erleben zurzeit die Christdemokraten. Im Ringen um die Merkel-Nachfolge an der Parteispitze versuchen derzeit mindestens die zwei aussichtsreichsten Kandidaten, genau das zu schaffen. Sie wollen der Basis zeigen, dass sie alles in einer Person vereinen.

Links und rechts, sozial und wirtschaftsliberal, weltoffen und doch hart gegenüber straffälligen Asylbewerbern; leidenschaftlich für Europa, aber bloß nicht deutsche Finanzen gefährden - eine zu große Palette der Angebote steht im Raum.

Dabei ist klar: Natürlich sollen diejenigen, die künftig die CDU führen wollen, ihre Positionen in verschiedenen Bereichen kenntlich machen. Und bis auf den dezidiert konservativen Jens Spahn, der sich als Außenseiter besondere Freiheiten herausnimmt, ist absolut verständlich, dass Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz bemüht sind, sich ein ausbalanciertes Image zu geben.

Beide haben verstanden, dass die Mehrheit der CDU keine fundamentale Kursverschiebung möchte; beide wissen mittlerweile, dass beim Schmerzensthema Flüchtlingspolitik nicht die Urentscheidung im Herbst 2015 das Problem war, sondern vieles von dem, was sich daran anschloss.

Und beide spüren längst, dass es gleichwohl eine Veränderung geben muss, um die "bleierne Zeit" (Kramp-Karrenbauer) der vergangenen Monate, vielleicht Jahre durch einen neuen Elan und Aufbruch zu ersetzen.

Wo ist die eigentlich empathische AKK geblieben?

Trotzdem kann die Verengung auf den vermeintlich nötigen Alleskönner an der Spitze in die Irre führen. Verwirrungen bei den Mixturen der persönlichen Angebote zeigen das eindrucksvoll. Das gilt für Kramp-Karrenbauer und für Merz gleichermaßen.

Da verspricht die Noch-Generalsekretärin besondere Härte beim Abschieben straffällig gewordener syrischer Flüchtlinge (abschieben ins Kriegsgebiet Syrien!), und schon taucht die Frage auf, ob die eigentlich als Mitte-Politikerin bekannte Saarländern noch die alte ist.

Noch gravierender tritt das zutage, wenn es um ihre Ablehnung der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen geht. Sie bleibt bei ihrem Vergleich, dass dann auch Inzest oder Polygamie kaum abgelehnt werden könnten. Wo ist die eigentlich empathische AKK geblieben?

Nicht anders ist es bei Friedrich Merz. Kaum spricht er von der Notwendigkeit, sich mehr als bisher um die Umwelt zu kümmern, um dieses Thema nicht länger den Grünen zu überlassen, schon stellt mancher die Frage, ob das noch der echte Merz ist.

Noch deutlicher wird Merz, wenn es um Abschiebungen nach Syrien geht. Zwar will auch er mehr abschieben. Aber: Wenn die CDU ihre christlichen Werte nicht aufgeben wolle, so Merz in Böblingen, komme ein Abschieben in Kriegsgebiete überhaupt nicht in Frage. Und die Gesellschaft "muss das dann aushalten". Ist das noch Merz selbst?

All das zeigt, dass die beiden favorisierten Kandidaten micht mehr mit einem Etikett zu belegen sind. Sie vereinen vielmehr genau das, was viele Mitglieder auch bei sich selbst spüren - eine Mischung von Positionen und Gefühlen, die sich manchmal ergänzen und manchmal widersprechen.

Kein Spieler, der im Tor steht und zugleich stürmt

Das lässt nur den Schluss zu, dass die CDU keinen Alleskönner und keinen Heilsbringer braucht, sondern eine oder einen, der oder die als Mannschaftskapitän zwar Leidenschaft, neue Energie und eine Grundrichtung vorgibt, aber kein Spieler sein will, der zugleich im Tor steht und stürmt, der im Zentrum Regie führt und auf dem Flügel angreift, der verteidigt und grundsätzlich die meisten Tore schießt. Alles gleichzeitig - das wird nicht klappen.

Und so wird es auf dem Parteitag in Hamburg bei der Wahl zum Parteivorsitz nicht nur darum gehen, wer das meiste kann. Es wird ganz wesentlich die Frage im Raum stehen, wer am besten das Bild eines Mannschaftsführers abgibt. Nur wer in der Lage ist und die Kraft hat, neben sich wieder Charakterköpfe zuzulassen, junge und alte, weibliche und männliche, konservative und soziale, kann die gegenwärtigen Glücksgefühle in der Partei für einen nachhaltigen Aufbruch nutzen.

Das verlangt in der Tat eine neue Debattenkultur; und es beinhaltet die Kraft, auch mal dieser oder jener Strömung wirklich Raum zu geben. Es zwingt die Person an der Spitze sogar dazu, Positionen einen Platz einzuräumen, die sie oder er erst einmal nicht teilt.

So ansteckend die neue Leidenschaft sein mag, die sich auf den Regionalkonferenzen bislang gezeigt hat - neue Kraft als Volkspartei wird die CDU nur gewinnen, wenn die neue Person an der Spitze klug und selbstbewusst genug ist, nicht den Alleskönner geben zu wollen.

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