Süddeutsche Zeitung

Waffengesetze in den USA:Bidens vertane Chance

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Als Vizepräsident hat er die Gelegenheit vertrödelt, eine Mehrheit für schärfere Waffengesetze zu organisieren. Ob diese jetzt zustande kommt, nach dem Massaker an einer Grundschule in Texas, ist fraglich.

Von Hubert Wetzel, Washington

Von den letzten fünf amerikanischen Präsidenten im Amt mussten sich vier vor ein Mikrofon stellen und einem schockierten Land erklären, dass wieder einmal Kinder und Lehrer in einer Schule von einem Attentäter erschossen worden sind: 1999, Bill Clinton, Columbine High School, dreizehn Tote. 2012, Barack Obama, Sandy Hook Elementary School, 27 Tote. 2018, Donald Trump, Marjory Stoneman Douglas High School, 17 Tote. Und jetzt: 2022, Joe Biden, Robb Elementary School, 21 Tote.

Biden findet sich sogar schon zum zweiten Mal in dieser schwierigen Situation wieder. Vor zehn Jahren, als ein 20 Jahre alter Angreifer die Sandy-Hook-Grundschule in Newtown, Connecticut, stürmte und um sich schoss, war er Vizepräsident. Er war dabei, als Obama mit Tränen in den Augen zu den Amerikanern sprach. Und er wurde damals von Obama beauftragt, das Problem zu lösen: Wenige Tage nach dem Sandy-Hook-Massaker setzte Obama eine Arbeitsgruppe unter Bidens Leitung ein, die Vorschläge für eine Verschärfung der Waffengesetze machen sollte.

Das war, wie man heute weiß, ein Fehler. Das Attentat auf die Sandy-Hook-Grundschule fand am 14. Dezember 2012 statt. Biden und seine Arbeitsgruppe brauchten bis zum 15. Januar 2013, um ihren Plan zusammenzustellen. Diese vier Wochen reichten der Waffenlobby, angeführt von der National Rifle Association (NRA), um den Widerstand zu organisieren. Am 21. Dezember gab deren Geschäftsführer Wayne LaPierre eine Pressekonferenz, in der er alle neuen Beschränkungen beim Waffenbesitz ablehnte. Die Haltung der NRA, die bis heute gilt, fasste LaPierre in dem berüchtigten Satz zusammen, wonach ein böser Mensch mit einer Waffe nur von einem guten Menschen mit einer Waffe aufgehalten werden könne: "The only thing that stops a bad guy with a gun is a good guy with a gun."

Als Biden dann drei Wochen später seine Reformvorschläge präsentierte, die ohnehin zahm ausfielen, hatten der Schock des Massakers und der daraus entstandene Druck auf die Politik, etwas zu tun, längst nachgelassen. Kein einziger von Bidens Vorschlägen wurde Gesetz. "Biden hat mehrere strategische Fehler gemacht, die zu Verzögerungen geführt haben", urteilte später das Magazin Politico. Der Vizepräsident habe eine Chance vertrödelt, einen Durchbruch im ewigen Streit um Waffen zu erreichen.

Diesmal könnte die Initiative aus dem Kongress kommen

Jetzt ist Joe Biden Präsident. Wie Obama hat er erschüttert zum Volk gesprochen, er wird auch ins texanische Uvalde reisen, um die Familien der toten Kinder von der Robb Elementary School zu treffen. Doch anders als vor zehn Jahren gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass das Weiße Haus einen neuen Vorstoß zur Verschärfung der Waffengesetze unternehmen will. Wenn überhaupt, dürfte die Initiative aus dem Kongress kommen. Im Senat gibt es offenbar Gespräche zwischen Demokraten und moderaten Republikanern. Ob sich aber am Ende zehn Republikaner finden lassen, die zusammen mit den 50 Demokraten die notwendigen 60 Stimmen für härtere Waffengesetze abgeben, ist offen.

Selbst wenn, wäre fraglich, wie hart diese neuen Gesetze tatsächlich wären. Von einem Verkaufsverbot für Sturmgewehre vom Typ AR-15, wie der Attentäter in Uvalde es benutzt hat, ist derzeit zum Beispiel keine Rede. Dabei läge ein entsprechendes Gesetz in der Schublade - von 1994 bis 2004 galt in den USA der sogenannte "Assault Weapons Ban", der den Verkauf und Besitz halbautomatischer Gewehre zumindest einschränkte. Das Gesetz wurde nach einer Reihe von Massenschießereien in den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren verabschiedet, darunter ein Massaker an einer Grundschule in Kalifornien, bei dem fünf Kinder starben. Gäbe es die notwendigen Mehrheiten im Kongress oder würden die Demokraten das als "Filibuster" bekannte Blockadeinstrument der Republikaner abschaffen, ließe sich der "Assault Weapons Ban" recht schnell wieder in Kraft setzen.

Eine Mehrheit fehlt im Kongress bisher auch für eine Ausweitung der Überprüfung von Waffenkäufern, den sogenannten Background Checks. Das derzeitige System ist fehleranfällig und hat Lücken. Aber die Forderung der Demokraten, per Gesetz vorzuschreiben, dass ausnahmslos jeder Waffenkäufer auf Vorstrafen, psychische Probleme oder frühere Gewalttaten überprüft werden soll, hat kaum Chancen auf Realisierung.

Eine Maßnahme, auf die Demokraten und Republikaner sich angesichts der Tragödie in Texas einigen könnten, ist ein sogenanntes "Red Flag"-Gesetz auf Bundesebene. Mehrere demokratische Bundesstaaten haben solche Gesetze. Sie erlauben es der Polizei, einer Person auch legal erworbene Schusswaffen wegzunehmen, wenn ein Richter diesen Menschen als gefährlich einstuft und die Konfiszierung anordnet. Der Attentäter von Uvalde war auffällig, vielleicht hätte ein "Red Flag"-Gesetz in Texas es ermöglicht, ihn zu entwaffnen - sofern jemand das bei Gericht beantragt hätte.

Die Waffenlobby bekämpft "Red Flag"-Gesetze mit aller Macht. Sie sieht darin eine Attacke auf das Recht auf freien Waffenbesitz. Das letzte Mal, als ein bundesweites "Red Flag"-Gesetz im Kongress diskutiert wurde - nach dem Massaker an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland, Florida -, ging es daher auch nur darum, Geld bereitzustellen, damit das US-Justizministerium den Bundesstaaten bei der Ausarbeitung solcher Regeln helfen kann. Das hätte die Kinder in Uvalde nicht gerettet.

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