Süddeutsche Zeitung

Jens Spahn:Schlecht für die Gesundheit

Lesezeit: 4 min

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Heute sind die Ärzte dran. Jens Spahn blickt auf einen Saal voller Mediziner, sie sind aus ganz Deutschland angereist, um dem Gesundheitsminister mal so richtig die Meinung zu sagen. Sie haben Unterschriften gesammelt und Berechnungen angestellt, wie ein neues Termingesetz ihre Arbeit verschlechtern würde. Spahn drückt den Rücken durch.

In einer hinteren Stuhlreihe tritt ein Mann ans Mikrofon, ein Psychiater aus München. Seine Kollegen ärgerten sich über den Zwang zu mehr Sprechstunden, den der Minister ausüben wolle, sagt er. Auch diese neue, elektronische Gesundheitskarte beobachte er mit Sorge - sie sei zu komplex. Und dann habe er noch einen "kleinen Tipp" für den Minister: "Zehn Monate, ich verstehe Sie gut, dass Sie wenig Zeit haben. Aber vielleicht einfach mal weniger und nicht im Wochentakt neue Projekte ins Land schieben."

Einige von Spahns Ideen versetzen Funktionäre in Alarmstimmung

Es ist ein Tipp, den Jens Spahn im Augenblick wohl viele gerne geben würden. Seit er im Dezember mit seiner Kandidatur um den Parteivorsitz in der CDU scheiterte, scheint es, als habe der Gesundheitsminister mehr Elan denn je. Kaum eine Woche vergeht, in der er keine neuen Vorschläge hat, wie er die Versorgung der deutschen Patienten verändern könnte. Und da sind die öffentlichkeitswirksamen Kommentare wie jüngst seine Aussage, es gebe gute Chancen, in zehn bis 20 Jahren den Krebs zu besiegen. "Wir sollten uns ambitionierte Ziele stecken", erwidert er denen, die ihn deshalb einen Populisten nennen.

Einige seiner Ideen versetzen das Gesundheitswesen und dessen Funktionäre in Alarmstimmung. Beispielsweise ein Gesetz, mit dem Spahn vom Ministersessel aus entscheiden könnte, welche Behandlungen von den Krankenkassen übernommen werden müssen. Aus solchen Detailfragen hatten sich seine Vorgänger im Amt lieber herausgehalten. Aber Spahn ist anders. Für seine Politik bessert er auch Gesetze nach, die er schon längst ins Parlament geschickt hatte. So regiert er auf den letzten Drücker. Sein neues Termingesetz, zum Beispiel, hatte er zwar schon im Sommer präsentiert. Doch in den Monaten danach versuchte er, mit einer Reihe kleiner Textänderungen das Gesetz so zu modifizieren, dass auf einmal grundlegende politische Richtungswechsel zwischen den Zeilen standen.

Plötzlich sorgte etwa ein neuer Absatz über Psychotherapeuten bundesweit für Entsetzen. Viele Menschen fürchteten, dass diese Änderung psychisch kranken Patienten Steine in den Weg legen würde. Mehr als 200 000 von ihnen unterschrieben eine Petition dagegen. Mit einer anderen Stelle schreckte Spahn seine eigene Partei auf. Da wollte er die ethisch heiklen Gentests an Embryonen durch ein paar Zusatzformulierungen zu einer Krankenkassenleistung machen.

Arbeit mit hoher Taktzahl

Während Spahn in diesen Tagen mit immer freundlicher Miene und langen Schritten von Bühne zu Bühne marschiert, wirken seine Pressesprecher blass und müde. Auch die Parlamentarier laugt er aus. Der langjährige SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach fühlte sich vergangene Woche bei einem Journalistengespräch verpflichtet, seinen Büromitarbeitern mal "ausdrücklich" zu danken: "Wir arbeiten hier mit hoher Taktzahl, das gilt nicht nur für Spahn, um das mal zu sagen."

Aus der Unionsfraktion ist ebenfalls zu hören, dass das Tempo, das der Minister zur Zeit vorlegt, den Gesundheitspolitikern an die Substanz geht. Schließlich muss das Parlament kontrollieren, was die Minister beschließen wollen. Bei diesem Trommelfeuer neuer Änderungsanträge und Entwürfe aus dem Gesundheitsministerium müssen die Politiker darauf achten, dass ihnen keine Details entgehen, die später eine unbeabsichtigte Wirkung entfalten könnten. Für eigene Vorschläge fehlen erst recht die Kapazitäten.

Es wirkt, als wolle Spahn aus seiner Amtszeit jetzt so schnell wie möglich das Maximum herausholen. Ein Grund für seine Eile ist die fragile Koalition mit der SPD. Ob sie noch bis zum Ende der Legislatur in der Regierung bleibt, ist fraglich. Und Angela Merkel könnte nach ihrem Abschied vom CDU-Parteivorsitz ebenfalls überraschend ihre Kanzlerschaft niederlegen. In beiden Fällen stünde auch Spahns Zukunft als Gesundheitsminister in den Sternen. Er aber will Ergebnisse liefern, bevor er wieder abtritt. Solche, die den Bürgern bei seinem Namen im Gedächtnis bleiben. Beitragssenkungen zum Beispiel.

Schon als er im März vergangenen Jahres, noch vor seinem 38. Geburtstag, Gesundheitsminister wurde, überraschte er die Öffentlichkeit mit zügigen Gesetzentwürfen: mehr Pfleger, mehr Organspenden, weniger Beiträge für die Kassenpatienten. Damals ging es ihm vor allem um die rasche Umsetzung des Koalitionsvertrags, den Union und SPD vereinbart hatten. Das führte zu einer paradoxen Situation. Denn einerseits war Spahn ein konservativer Hoffnungsträger seiner Partei. Zugleich schaffte er es aber, sich Vorschläge für eine gerechte Gesundheitspolitik, die Sozialdemokraten mühevoll verhandelt hatten, zu eigen zu machen - um sie in der Presse als seine Wohltaten zu verkaufen.

Spahn sitzt seit 17 Jahren im Bundestag und fast genauso lange beschäftigt er sich mit der deutschen Gesundheitspolitik, ihren Akteuren und Lobbyisten. Ihre unterschiedlichen Argumente, die sie den Politikern immer wieder vortragen, kennt er inzwischen auswendig. "Ihr müsst euch irgendwann mal entscheiden, was ihr wollt, mal ganz ehrlich", herrscht er die Ärzte in der Diskussion um Termine an: "Erst den Hausarzt besuchen oder nicht?"

Wo Tempo nicht genügt, arbeitet Spahn mit Druck

Das deutsche Gesundheitswesen ist für Spahns hektischen Regierungsstil eigentlich nicht gemacht. Hier treffen die Funktionäre der Ärzte, Kliniken und Krankenkassen gemeinsame Entscheidungen. Weil alle in der Regel etwas anderes wollen, können ihre Diskussionen Jahre dauern. In manchen Fällen sind sie bis zur Entscheidungsunfähigkeit zerstritten. Die digitale Gesundheitskarte - eigentlich ein Lieblingsprojekt von Jens Spahn - ist so ein Fall. Als Minister hat er für so etwas keine Geduld.

Weil Tempo bei den Funktionären nicht genügt, arbeitet Spahn bei ihnen mit Druck. Wo sie bummeln, droht er mit Entmachtung: Über die Gesundheitskarte will er jetzt selbst entscheiden. Und bei den Apothekern, die sich seit Jahren gegen den Versandhandel mit Medikamenten stemmen, brachte Spahn kürzlich ein altes Gutachten ins Spiel. Das war zu dem Schluss gekommen, dass einige Apotheken zu viel Geld verdienen. Da lenkten sie schließlich ein. Spahns Tatendrang bringt das starre Gesundheitswesen in Bewegung. Bloß um zu beraten, in welche Richtung es steuern soll, dazu lässt er gerade wenig Zeit.

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Quelle:
SZ vom 07.02.2019
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