Süddeutsche Zeitung

Japan:Der Nationalist im Hintergrund

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Japan wird bald eine neue Regierung haben, aber die Strippen zieht noch immer der frühere Premier Shinzo Abe. Er hält das Land stramm auf Rechtskurs.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die Regierungsbildung in Japan war vor dem Wochenende noch im Gange. Fumio Kishida, seit Mittwoch Präsident der Regierungspartei LDP und damit als nächster japanischer Premierminister gesetzt, verriet keine Namen. Immerhin ließ er am Tag nach seiner Wahl durchblicken, dass er sich sofort auf eine hektische Suche nach den richtigen Leuten für Kabinett und Parteispitze gemacht habe. "Ich denke viel nach", sagte er. Erst am Montag, wenn die LDP-Mehrheit im Parlament ihn endgültig zum Regierungschef kürt, wird er seine Mannschaft vorstellen.

Trotzdem konnte man sich am Freitag schon ein Bild machen von der neuen Führung des Inselstaates. Denn fleißig sammelten die japanischen Medien jede Information, die aus dem Inneren der LDP sickerte. Toshimitsu Motegi, 65, darf demnach Außenminister bleiben. Der erfahrene Abgeordnete Shunichi Suzuki, 68, wird Finanzminister anstelle des alten Taro Aso, 81. Toshihiro Nikai, 82, muss die einflussreiche Position des LDP-Generalsekretärs an Akira Amari, 72, abgeben. Und Sanae Takaichi, Kishidas rechtspopulistische Rivalin bei der LDP-Wahl, wird die politische Chefstrategin der Partei. Es stellt sich heraus, dass sich im Kampf um die Macht nicht nur der 64-jährige Ex-Außenminister Kishida durchgesetzt hat. Sondern auch ein Mann namens Shinzo Abe.

Shinzo Abe, 67, ist Japans Rekord-Premier. Keiner stand länger an der Regierungsspitze als er. 2012 leitete er einen Rechtsruck ein, der die LDP aus ihrer ersten längeren Phase in der Opposition befreite. Mit seiner neoliberalen Abenomics-Politik führte er Japan zu zaghaftem Wachstum und mehr Weltoffenheit im Dienste der Wirtschaft. Eines seiner wichtigsten Ziele war immer, die pazifistische Verfassung umzuschreiben, damit Japans Selbstverteidigungskräfte eine richtige Armee sein dürfen. Er verfehlte das Ziel, und im September 2020 musste er nach acht Jahren als Regierungschef zurücktreten, weil ihm ein altes Darmleiden wieder zu schaffen machte.

Bei der Präsidentschaftswahl am Mittwoch in einem Tokioter Vier-Sterne-Hotel wirkte Abe wie einer von vielen, die ihren Wahlzettel zur Urne trugen. In Wirklichkeit hatte er in den Wochen zuvor die Weichen gestellt, um Japans Regierungshandeln nach einem pandemischen Jahr mit seinem ausdrucksschwachen Nachfolger Yoshihide Suga wieder auf einen entschlosseneren Rechtskurs zu bringen. Als geheimer Führer der größten LDP-Untergruppe, der Hosoda-Faktion, unterstützte Abe die Rechtsauslegerin Sanae Takaichi. Für ein beachtliches Ergebnis im ersten Wahlgang reichte das - aber nicht für eine Stichwahl. Für die stellte Abe mit seinem Einfluss sicher, dass Kishida gewann und nicht der weltgewandte Reformminister Taro Kono.

Wer Abe folgt, wird mit Schlüsselpositionen belohnt

"Es heißt ABK: anyone but Kono, jeder, nur nicht Kono" - laut Japan Times beschrieb ein Mitglied der Hosoda-Faktion so den Auftrag vor der Wahl. Kono bekam die meisten Stimmen der Parteibasis. In den Umfragen hatte er ebenfalls vorn gelegen. Aber Konos Positionen weichen eben immer wieder vom rechten Establishment ab. Er ist zum Beispiel für die Homo-Ehe und für Gespräche mit Südkorea im Konflikt um koreanische Zwangsprostituierte des japanischen Militärs während der Besatzungszeit. Auf Abe muss Kono oft wirken wie ein linker Spinner, außerdem war Yoshihide Suga auf Konos Seite und - noch schlimmer - Shigeru Ishiba. Ishiba hat einst gegen Abe um die Parteispitze gekämpft und dessen Politik kritisiert.

Für Abes Verdienste bekommt dessen Gefolgschaft nun Schlüsselpositionen. Zum Beispiel Sanae Takaichi. Oder Akira Amari. Als Minister für Steuerpolitik hat der einst die Abenomics-Strategie aktiv mitgetragen. Außerdem gehört er zu dem machtvollen Trio, das in der LDP unter dem Kürzel 3A läuft: Abe, Akira und Aso arbeiteten auch vor der Kishida-Wahl zusammen, damit nichts schiefgehen konnte. Und sie werden sicher darauf hinwirken, dass die nationalistischen Strömungen im Tokioter Regierungsviertel Nagatacho künftig eher stärker als schwächer werden.

Japans Regierungspolitik bleibt eine elitäre Angelegenheit. Wer nicht reinpasst, hat keine Chance. Taro Kono spürt das jetzt. Er wird wohl keinen Posten im Kabinett mehr bekommen, sondern Chef der LDP-PR-Zentrale. Mit seinem Redetalent darf er also künftig vermarkten, was Abes Leute entscheiden.

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