Süddeutsche Zeitung

Mittelmeer:Was Sie zur Seenotrettung wissen sollten

Lesezeit: 4 min

Wer muss helfen? Was macht die EU? Und wie realistisch ist es, mit Flüchtlingen vom Mittelmeer nach Deutschland zu fahren? Fragen und Antworten.

Von Eva-Maria Brändle, Camilla Kohrs und Philipp Saul

Das Rettungsschiff Sea-Watch 3 ist mehr als zwei Wochen mit 40 Migranten auf dem Mittelmeer unterwegs gewesen, kein Hafen wollte sie einfahren lassen. Schließlich fuhr Kapitänin Carola Rackete trotz Verbots in den Hafen von Lampedusa ein - und wurde festgenommen.

Immer wieder gibt es Streit um die Seenotrettung, wer die Geflüchteten aufnimmt und wo sie hingebracht werden sollen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie viele Menschen versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen?

2019 sind bislang knapp 27 000 Menschen über das Mittelmeer in die EU-Länder Spanien, Griechenland, Italien, Zypern und Malta gelangt. Diese Zahl hat in den vergangenen Jahren stark abgenommen. Während 2015 nach Angaben des UN-Flüchtslingshilfswerks UNHCR mehr als eine Million Menschen kamen, waren es 2018 nur noch etwa 141 500.

Von den Menschen, die sich von Libyen aus auf den Weg nach Europa machen, stirbt laut UNHCR jeder sechste beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. In diesem Jahr waren es bereits mindestens 331 Menschen. Die Zahl derjenigen, die überhaupt von Libyen aus aufbrechen, ist in den vergangenen Jahren aber drastisch gesunken.

Wer muss in Seenot geratenen Menschen helfen?

Nicht nur Seenotretter müssen helfen. Die Besatzung eines jeden Schiffes hat die grundsätzliche Pflicht, in Not geratene Menschen zu retten, wenn sie auf sie aufmerksam werden. Das ist unter anderem im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen festgesetzt. Wo genau sich die Menschen in Seenot befinden, also ob auf hoher See oder im Küstenmeer, ist irrelevant.

Ob sich ein Schiff und seine Passagiere tatsächlich in Not befinden, entscheidet der Kapitän des Schiffs, das als Rettungsschiff in Frage kommt. Nele Matz-Lück, Professorin für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Seerecht, sagt: "Nur der Kapitän oder die Kapitänin kann einschätzen, ob eine Rettung möglich und nötig ist."

Wieso gibt es so viele rechtliche Unklarheiten zur Situation von privaten Seenotrettern im Mittelmeer?

Das internationale Seerecht sei nicht für die aktuelle Situation geschaffen, sagt Matz-Lück. Auf viele Fragen, die sich zurzeit im Mittelmeer stellen - zum Beispiel ob Rettungsschiffe auf Geflüchtete warten oder wohin die Menschen gebracht werden dürfen - gebe das Seerecht kaum ausreichende Antworten.

Wie wird die Seenotrettung koordiniert?

Die Staaten haben sich auf sogenannte "Search and Rescue Zonen" geeinigt. Es ist der Staat zuständig, in dessen Zone ein Schiff in Not gerät. Koordiniert wird die Seenotrettung von Leitstellen an Land. Das klappe jedoch mal besser, mal schlechter, sagt Matz-Lück. Gerade in Libyen gebe es große Probleme. Für private Seenotretter sei die Situation oft sehr unklar, wenn diese angewiesen werden, nicht zu retten, da angeblich die libysche Küstenwache gleich kommen werde.

Warum bringen die Helfer die Geflüchteten nicht nach Libyen?

Die EU unterstützt Libyen mit Geld und Schiffen, damit das Land eine Küstenwache aufbauen kann, die auch Migranten von der Überfahrt nach Europa abhalten kann. Teilweise wurden auch Geflüchtete von europäischen Booten nach Libyen zurückgebracht. Die private Organisation Sea-Watch mit Kapitänin Carolin Rackete lehnt das ab.

UNHCR, Kirchen und Politiker kritisieren immer wieder die katastrophale Menschenrechtlage in Libyen. Aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge, werden von der libyschen Küstenwache oft in Internierungslager gebracht. Menschenrechtler und Geflüchtete berichten von Folter, Vergewaltigungen und Tötungen.

Die anhaltenden Kämpfe in dem Land verschlechtern die Situation weiter. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hat in diesem Jahr bereits knapp 1300 Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland ausgeflogen. Wie viele Menschen in den Internierungslagern sind, ist unklar. Die UN geht von mehr als 3000 Menschen aus, die allein im Raum Tripolis interniert sind. Viele Migranten seien zudem unerkannt in dem Land und verstecken sich vor den Behörden.

Was macht die EU?

Die Europäische Union hat im März ihren Marineeinsatz vor der libyschen Küste beendet und kann seitdem keine Migranten mehr aus Seenot retten. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die Mitgliedsstaaten sich nicht einigen konnten, wie die Geflüchteten innerhalb der EU verteilt werden sollen. Der Marineeinsatz war Teil der multinationalen Operation Sophia, die unter italienischem Oberkommando steht. Die Regierung in Rom bemängelte, dass nach den Regeln der Seenotrettung ausschließlich Italien angesteuert wurde.

Die Operation Sophia besteht seit 2015 und sollte Schleuser bekämpfen und Informationen über deren Routen sammeln. Der Auftrag wurde mehrmals ausgeweitet, und so wurden vor allem Geflüchtete vor dem Ertrinken gerettet. Obwohl der Marineeinsatz beendet ist, läuft die Operation weiter. Allerdings beschränkt sich die EU nun darauf, libysche Küstenwächter auszubilden und Luftaufklärung zu betreiben. Das Mandat geht noch bis Ende September.

Was macht Deutschland?

Die Bundesregierung hat am Sonntag mitgeteilt, die deutsche Beteiligung an der Operation Sophia gänzlich einzustellen. Die verbleibenden Soldaten sollten noch am gleichen Tag aus Italien zurückkehren. Die Bundeswehr war jahrelang mit einem eigenen Schiff an der Operation beteiligt. Das ist jedoch schon seit Januar nicht mehr im Einsatz. Zuvor war der Bundeswehr ein Gebiet fernab der Flüchtlings- und Schleuserrouten zugeteilt worden. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums rettete die Bundeswehr seit Beginn des gemeinsamen Einsatzes 22 534 Menschen, insgesamt wurden mehr als 49 000 Menschen durch Einheiten der Operation Sophia gerettet.

Warum fahren die Schiffe vom Mittelmeer aus nicht in deutsche oder niederländische Häfen? Die "Sea-Watch 3" fährt unter niederländischer Flagge.

Hilfsorganisationen bezeichnen solche auch von Salvini gern geäußerten Vorschläge als populistisch oder menschenverachtend. Sie wollen die von der Flucht körperlich sehr geschwächten Menschen nicht dem Risiko einer so langen Reise aussetzen.

Die niederländische Staatssekretärin Ankie Broeker-Knol antwortete auf die Äußerung Salvinis, dass die Niederlande doch die Migranten aufnehmen sollten: Der Umstand, das ein Schiff unter niederländischer Flagge fahre, heiße nicht, dass der Staat verpflichtet sei, gerettete Personen aufzunehmen. Die Niederlande beteiligen sich nur noch an Ad-hoc-Aktionen und nehmen prinzipiell künftig keine Migranten auf aus Such- und Rettungsaktionen in Gebieten, die stark von den Aktivitäten von Menschenhändlern betroffen sind.

Für den Gründer der Rettungsorganisation Sea-Eye, Michael Buschheuer, ist ein Hafen in Malta oder Italien die einzig sinnvolle Lösung, auch wenn sich die Politik darauf einige, Menschen in Deutschland aufzunehmen. Eine lange Seefahrt bis nach Deutschland sei eine Drangsalierung und ein Spiel mit der Gesundheit und dem Leben der Menschen auf dem Schiff. "Niemand würde vernünftigerweise ein Boot unnötig lang da draußen lassen."

Auch Matz-Lück, hält es für keine praktikable Lösung, ein überfülltes Schiff, auf dem die Menschen an Deck lagern, womöglich wochenlang durch die Straße von Gibraltar und die gesamte Atlantikküste entlang zu fahren.

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