Süddeutsche Zeitung

Präsidentenwahl in Italien:Will Draghi antreten?

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Drei Monate vor der Präsidentenwahl diskutiert Italien, ob Mario Draghi sich für das höchste Amt im Staat interessiert - oder ob er in dieser schwierigen Zeit besser Ministerpräsident bleibt. Auch Silvio Berlusconi rechnet sich Chancen aus.

Von Oliver Meiler, Rom

In Rom kommt es vor, dass ein Barmann, ein barista, mehr über die Zukunft des Landes weiß als die Herrschaften Politiker, Analysten und Journalisten. Zumindest behauptet das Antonio Proietti. So heißt der Besitzer des Stammlokals von Mario Draghi und dessen Frau Serenella im römischen Stadtviertel Parioli.

Neulich erzählte Proietti einem Radiosender, er habe mal wieder mit der Signora getratscht, und die habe ihm erzählt, dass ihr Mann, der amtierende Premier des Landes, Präsident der Republik werden wolle. Sehr glücklich sei sie nicht darüber, denn als Präsident hätte er noch mehr Pflichttermine als jetzt schon, und so würden sie noch weniger Zeit in ihrem Landhaus in Umbrien verbringen können. Diese Nachricht direkt vom Tresen des Vertrauens, sie war natürlich eine Bombe. Aber war sie auch wahr? Draghi sollte vor ein paar Tagen darauf antworten, mit einem launischen Spruch, wie sich das gehört. Aber dazu später.

Die Wahl findet im kommenden Februar statt, wenn das Mandat des Christdemokraten Sergio Mattarella abläuft. Dann finden sich in einer gemeinsamen Sitzung im Parlament alle Abgeordneten und Senatoren sowie 58 Vertreter aus den Regionen - insgesamt mehr als tausend sogenannte "große Wähler" - zu einem Wahlprozedere zusammen, dessen Riten und Rituale an das vatikanische Konklave erinnern: Die Stimmabgabe ist geheim, das Ansinnen der Wählenden selten sehr heilig. Da wird getäuscht, intrigiert, verraten, gehandelt und gespielt.

Der Vergleich mit der Papstwahl ist auch deshalb statthaft, weil der Staatspräsident jeweils für schier unendlich lange sieben Jahre im schönen Palast auf dem Quirinalshügel wohnt, der früher Residenz von Königen und Päpsten war, hoch über der Stadt. Ganz so mächtig wie ein Monarch ist er nicht, zumal in politisch ruhigen Zeiten. Dann reist er durchs Land, hält schöne Reden, weiht Denkmäler ein. Er ehrt Sportler, Künstler, ehrbare Bürger. Doch wenn die Politik aus dem Tritt gerät und Kabinette kollabieren, dann schaut alles zum colle, rauf zum Hügel also. Der Präsident beruft Regierungen und Regierungschefs, und wenn es dafür keine Mehrheit im Parlament gibt, dann löst er die Kammern auf und setzt Neuwahlen an. Die Macht mit Jo-Jo-Effekt: Mal ist sie klein, mal sehr groß.

Berlusconi ist der Gegenentwurf zu einem Landesvater - aber er hofft

Drei Monate noch. Doch die Wahl hält den politischen Betrieb und das gesamte mediale Gedröhne darum herum bereits seit Wochen gefangen in heller Aufregung - und das ist verständlich. Diesmal geht es um richtig viel, es geht um Mario Draghi. In den Zeitungen werden frivol Namen von angeblichen Kandidaten herumgereicht, mehr als ein Dutzend schon. Manche sollen so von Beginn weg "verbrannt" werden, wie die Italiener sagen, oft reicht dafür eine frühe Nennung. Anderen soll der Bauch gepinselt werden. Silvio Berlusconi zum Beispiel, 85 Jahre alt.

Er ist der Gegenentwurf zu einem Landesvater, der über allem schwebt, moralisch und überhaupt. Eine politische Karriere lang hat Berlusconi mit seiner seltsamen Auffassung von Demokratie und Rechtsstaat das Land gespalten. Nun träumt er von einer krönenden Rundung dieser Karriere, einer Rehabilitierung auf dem Quirinal. Und die rechten Parteien sagen, dass sie ihn wählen werden. Doch wahrscheinlich geben sie das nur vor, um die Karten noch ein bisschen bedeckt zu halten.

In den ersten drei Wahlgängen ist eine Dreiviertelmehrheit nötig für die Wahl. Die schafft Berlusconi ganz sicher nicht. Ab dem vierten würde eine absolute Mehrheit reichen, aber selbst die scheint unmöglich zu sein, obschon sich natürlich eine Menge Wankelmütige und Fraktionslose locken und umgarnen ließen. Auch das gehört zum großen Roman einer Präsidentenwahl, zuweilen trägt er Züge eines Schelmenromans.

Verhandelt wird auch die Frage, ob es nicht endlich Zeit wäre, eine Frau zu wählen. Italien hatte noch nie eine Regierungschefin oder eine Staatspräsidentin. Vor allem drei Frauen werden Chancen eingeräumt: Justizministerin Marta Cartabia, früher Vorsitzende des Verfassungsgerichts; Maria Elisabetta Alberti Casellati, amtierende Präsidentin des Senats; und Emma Bonino, einst EU-Kommissarin und später italienische Außenministerin.

Eine politische Frage: Wie trinkt Draghi seinen Spritz, mit Aperol oder Campari?

Aber alle diese Eventualitäten hängen von der einzig wahren und zentralen Fragestellung ab, die allein um Draghi kreist: Bringt der frühere Zentralbanker Italien mehr, wenn er noch für eineinhalb Jahre die Geschäfte führt, bis Ende der Legislaturperiode also, und in dieser Zeit weiterhin mit breiter Unterstützung im Parlament den CEO des Landes gibt, den operativen Chefreformer und Verwalter des Wiederaufbaufonds mit seinen mehr als 200 Milliarden Euro aus der EU? Oder ist Italien und dessen Vertrauenswürdigkeit im Ausland mehr gedient, wenn "Super Mario", der Retter des Euro, der mit allen Mächtigen der Erde auf Augenhöhe redet, sieben Jahre lang in der Rolle des Staatspräsidenten politische Stabilität garantiert? Dummerweise ist er für beide Ämter der ideale Mann.

Unter denen, die ihn gerne auf den colle schicken würden, sind etliche dabei, die hoffen, dass ohne Premier Draghi die Regierung auseinanderfällt und es vorgezogene Neuwahlen gibt. Vor allem bei den Postfaschisten und bei der rechten Lega flirten sie mit diesem Szenario, es wäre ein riskantes Glücksspiel.

Rein theoretisch gäbe es eine Alternative zu den zwei Optionen, die Möglichkeit einer Stafette, ein Zeittrick: Mattarella, 80, könnte sich für eine Übergangsphase wiederwählen lassen, etwa bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühling 2023, und dann für eine Wahl Draghis den Weg frei machen. Wie das sein Amtsvorgänger Giorgio Napolitano 2013 tat, der war damals 88. Mattarella hat schon eine Wohnung gemietet für die Zeit danach, er freue sich auf die kleinen Freuden des Ruhestands, sagt er bei jeder Gelegenheit. Auch Napolitano sträubte sich bis zuletzt, wortreich und vermeintlich definitiv. Als man ihn dann trotzdem drängte, für das höhere Wohl des Landes, konnte er schlecht Nein sagen.

Aber nun zurück zum barista in Parioli. Der hatte den Medien auch noch verraten, dass Draghi zum Aperitif gerne einen Aperol Spritz trinke, manchmal auch zwei. Und so fragte nun vor ein paar Tagen ein Reporter den Premier: "Presidente, Ihre Frau soll Ihrem Barmann gesagt haben, dass Sie bald auf den Hügel umziehen werden?" Draghi lächelte und sagte: "Ich möchte dazu nur sagen, dass ich noch nie einen Spritz mit Aperol getrunken habe, ich mag den einfach nicht. Ich nehme immer den mit Campari."

Da war alles drin: Geist und Spiel im Machtkampf um das höchste Amt. Draghi stellte auf sanfte Art die Glaubwürdigkeit des Mannes infrage, wobei: Welcher italienische Barmann kennt die Vorlieben seiner Stammgäste nicht? Und er umging dabei die eigentliche Frage, die alle so brennend interessiert: Will er Präsident werden? Oder will er nicht? Aus seiner Entourage hört man, Draghi werde sich frühestens an Weihnachten dazu äußern. Eine Bescherung mit unmittelbaren Unwägbarkeiten, in beiden Fällen.

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