Süddeutsche Zeitung

Draghis Abschied:"Italien bleibt"

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In seiner Dankesrede beruhigt Italiens scheidender Premier Mario Draghi die Welt mit einem bemerkenswerten Satz. Unterdessen schenkt Wahlsiegerin Giorgia Meloni ihren 185 Parlamentariern Krawatten und Halstücher mit der Trikolore.

Von Oliver Meiler, Rom

Was man zum Abschied sagt, ist ja selten improvisiert. Als Mario Draghi, der scheidende Premier Italiens, nach eineinhalb Jahren im Amt seine wahrscheinlich letzte Ministerratssitzung beendet hatte, schloss er seine Dankesrede mit diesem Satz: "Regierungen kommen und gehen, Italien bleibt." Die Stimme hob er dafür ein bisschen an.

Das ist nicht so banal, wie es sich vielleicht anhört nach 67 Regierungen in etwas mehr als siebzig Jahren. In Italien kommen und gehen Regierungen nun einmal sehr rege. Auch Draghis sogenannte Regierung der nationalen Einheit endete früher als geplant - im Juli schon statt erst im kommenden Frühjahr zum ordentlichen Ende der Legislaturperiode, weil drei Parteien den parteilosen Premier stürzten.

Aber der Abschiedsgruß ist eben zugleich ein Signal an die Welt: Was jetzt auch kommt, schwang da mit, es geht bei uns erstens selten sehr lange, und zweitens bleibt Italien immer Italien. Zudem gab es dann noch ein Gruppenfoto der Minister mit Draghi, die Zeitung La Stampa titelte dazu: "Der Abschied der Besten." Draghi hatte bis zuletzt hohe Beliebtheitswerte im Land, seine Regierung galt auch im Ausland als hochkarätig und verlässlich.

Berlusconi ist sehr erzürnt, er hält Meloni für arrogant

Nun, was bald kommen wird, ist eine rechte Regierung mit den postfaschistischen Fratelli d'Italia in der Führungsrolle. Giorgia Meloni, Siegerin der Parlamentswahl vom 25. September, versucht seit zwei Wochen, ein Kabinett zu bilden, das auch ihren zwei Alliierten Matteo Salvini von der Lega und Silvio Berlusconi von Forza Italia gefällt. Und das ist schwierig.

Bisher hat sich die Rechte offenbar noch auf keinen einzigen Posten einigen können. In machen Fällen ist das Ringen dermaßen virulent, dass die Nerven der Beteiligten blank liegen. So beharrt zum Beispiel Berlusconi darauf, dass seine treue Anhängerin und Senatorin Licia Ronzulli ein gewichtiges Ressort bekommt, egal welches, Gesundheit, Erziehung oder sonst etwas Großes. Doch Meloni hält wohl nicht so viel von Ronzulli - und so beklagt sich Berlusconi auf Twitter öffentlich über Melonis Arroganz.

Zunehmend problematisch wird aber die viel wichtigere Personalie des zukünftigen Wirtschafts- und Finanzministers. Nach einer Serie von Absagen prominenter, parteiloser und international renommierter Persönlichkeiten erwägen die Fratelli d'Italia nun, ihren Parteikollegen Maurizio Leo ins Spiel zu bringen, der weder prominent noch renommiert ist: In seiner Karriere war der Professor und Parlamentarier einmal zwei Jahre lang zuständig für Wirtschaftsfragen in der römischen Stadtverwaltung.

Herumgereicht wird auch der Name von Giancarlo Giorgetti, Salvinis Vize und stiller Rivale bei der Lega. Giorgetti ist ein "Draghianer" mit gutem Netzwerk, er gilt als präsentables Gesicht der Lega. Aber eben: Salvini ist dagegen. Die Beförderung seiner Nummer zwei in ein so zentrales Ministerium würde seine eigene Machtposition schwächen, und die ist seit dem schlechten Wahlergebnis der Lega schon prekär. Zumal, wenn ihm selbst das Innenministerium verwehrt bliebe.

Die Liturgie der Republik wird brüskiert

Da laufen also Machtspiele auf allen Ebenen, innerhalb der rechten Koalition wie innerhalb der Parteien. Staatspräsident Sergio Mattarella wird die Konsultationen mit den Parteien wahrscheinlich am 17. Oktober aufnehmen, so will es die Liturgie der Republik. Zum ordentlichen Ablauf gehört ebenfalls, dass der Staatspräsident den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Mattarella kann Personalentscheide, die ihm nicht passen, auch zurückweisen.

Wenn sich Giorgia Meloni nun bei den Vorverhandlungen bereits so aufführt, als wäre sie als Ministerpräsidentin gesetzt, verstößt das zumindest in der Form den üblichen Gepflogenheiten. Man hört bereits, dass Mattarella ein bisschen irritiert sei, doch an der Sache ändert das nichts: Die "Brüder Italiens" haben bei den Wahlen allein zehn Prozent mehr Stimmen gewonnen als ihre zwei Partner Lega und Forza Italia zusammen. Die Hackordnung in der Regierungsmehrheit ist damit vorgegeben.

Das neue Parlament wird zum ersten Mal am Donnerstag zusammenkommen, in seiner gestutzten Form: Im Senat sitzen nach der Reform statt 315 nur mehr 200 Vertreter des Volkes, in der Abgeordnetenkammer sind es 400, einst waren es 630. Auch über die Besetzung der Kammervorsitze streitet die Rechte seit Wochen. Im Zentrum steht der Senat, wie so oft, er wird auch in der neuen Legislaturperiode zur Hauptbühne werden: Die Rechte hat dort nur eine Marge von elf Stimmen. Für italienische Standards ist das sehr wenig. Meloni würde gern Parteifreund Ignazio La Russa zum Präsidenten des Senats machen, während die Lega auf Roberto Calderoli setzt. Da herrsche "Krieg", schreiben die Zeitungen, als wäre dieser Begriff nicht gerade sehr unpassend.

Meloni hat nun erstmals ihre frisch gewählten Parlamentarier in einem Raum versammelt, es musste ein großer Saal sein: 185 Brüder Italiens sitzen im neuen Parlament, sie sind mit Abstand die größte Abordnung. Den Herren schenkte Meloni eine Krawatte, den Damen ein Halstuch - beide dunkelblau, mit aufgestickter kleiner Trikolore. Sie sagte zu ihren Leuten, sie sollen beim Hinausgehen die Journalisten ignorieren und keine Fragen beantworten. Meloni treibt die Sorge, dass noch ein Unfall passieren könnte, ein Fauxpas, eine ungeheuerliche Aussage - und sie dann vielleicht scheitert, bevor es losgeht.

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