Süddeutsche Zeitung

Israels Regierung:Es wurde zu bunt

Lesezeit: 2 min

Israels Acht-Parteien-Koalition ist am Ende: Die Auflösung des Parlaments soll in der nächsten Woche den Weg zur Neuwahl frei machen. Der bisherige Außenminister Jair Lapid wird Übergangspremier.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israels Regierung gibt auf. Am Montagabend verständigten sich Premierminister Naftali Bennett und Außenminister Jair Lapid auf eine Auflösung des Parlaments und eine baldige Neuwahl. Lapid soll, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, von Bennett das Amt des Premierministers übernehmen und bis zur Bildung einer neuen Regierung innehaben. Die im vorigen Sommer gebildete bunte Koalition aus rechten, linken und einer arabischen Partei ist damit nach nur gut einem Jahr gescheitert.

Die Ankündigung zur Knesset-Auflösung per Abstimmung in der nächsten Woche steht am Ende einer wochenlangen politischen Agonie. Die Koalition hatte schon im April ihre Mehrheit verloren mit dem Auszug einer Abgeordneten aus Bennetts rechter Jamina-Partei. Seither herrschte im Parlament ein Patt von 60 zu 60 Stimmen. Dies hatte Abgeordnete aus verschiedenen Koalitionsparteien immer wieder dazu verleitet, die Regierung mit Rückzugsdrohungen zu erpressen. Nun haben Bennett und Lapid gemeinsam die Reißleine gezogen. Sein vorheriges Bemühen kommentierte Bennett in einer emotionalen Pressekonferenz mit den Worten, er habe "jeden Stein umgedreht", um die Regierung zu retten. "Wir haben nun eine harte Entscheidung getroffen", sagte er, "aber dies war das Beste für das Land."

Gescheitert ist damit das bei der Regierungsbildung angekündigte Ziel, wieder Stabilität in Israels Politik zu bringen. Bevor die Koalition gebildet wurde, hatte das Land eine Phase der politischen Blockade mit vier Wahlen innerhalb von zwei Jahren hinter sich gebracht. Verantwortlich dafür war vor allem der Langzeit-Premier Benjamin Netanjahu, der bedrängt von einem noch laufenden Korruptionsprozess um seine Macht kämpfte. Nun aber muss aller Voraussicht nach am 25. Oktober erneut gewählt werden.

Netanjahu, der als Oppositionsführer die Regierung unter permanentem Druck gehalten hatte, rechnet sich bereits Chancen auf eine schnelle Rückkehr an die Macht aus. Umfragen zeigen seine Likud-Partei im Aufwind. Unklar aber ist, ob er gemeinsam mit seinen Partnern im rechten und religiösen Lager tatsächlich eine Mehrheit zur Regierungsbildung zustande bringt. Wenn nicht, könnte sich der vor drei Jahren begonnene Reigen von Wahlen auf unbestimmte Zeit fortsetzen. Völlig auszuschließen ist es allerdings auch nicht, das Netanjahu in den Tagen vor der geplanten Abstimmung zur Knesset-Auflösung noch genügend Abgeordnete auf seine Seite zieht, um im bestehenden Parlament eine neue rechte Regierung unter seiner Führung zu bilden.

Bennett hatte eigentlich einen bemerkenswerten Balanceakt geschafft

Bitter ist der Zerfall der Regierung vor allem für Bennett, der im zurückliegenden Jahr einen bemerkenswerten Balanceakt geschafft hat. Seine Jamina-Partei, deren Wählerklientel vor allem aus nationalreligiösen Siedlern besteht, verfügte zu Beginn nur über sechs Parlamentssitze. Wegen der Zusammenarbeit mit den linken Parteien sowie der arabischen Raam-Partei standen diese Abgeordneten von Beginn an unter enormem Druck und wurden als Verräter beschimpft.

Israelischen Medienberichten zufolge haben Bennett und Lapid mit ihrer Einigung auf eine Knesset-Auflösung auch politische Partner überrascht. Bennett soll demnach diesen Schritt nicht einmal mit den eigenen Parteifreunden abgesprochen haben. Verteidigungsminister Benny Gantz vom Bündnis Blau-Weiß nannte es eine "Schande", dass Israel nun erneut vor einer vorgezogenen Parlamentswahl stünde.

Gerüchten zufolge erwägt Bennett nun sogar einen kompletten Rückzug aus der Politik. Sein Regierungspartner Lapid steuerte dem bereits entgegen und verband seinen Dank für die Zusammenarbeit mit dem Hinweis, dass Bennett gewiss noch "für viele Jahre in der Führung dieses Landes" tätig sein werde. Einen geplanten Höhepunkt seiner Amtszeit dürfte Bennett aber nun in jedem Fall verpassen: Wenn Mitte Juli US-Präsident Joe Biden Israel besucht, wird er nach jetzigem Stand wohl von Premierminister Jair Lapid empfangen werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5606053
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.