Süddeutsche Zeitung

Raketenangriffe auf Israel:Waffenruhe in Nahost hält nur kurz

Lesezeit: 3 min

Von Moritz Baumstieger, München

Der Montagmorgen begann für mehr als 55 000 Schüler in Israel mit der Nachricht, dass der Unterricht ausfallen würde. Die Schließung vieler Schulen im Süden des Landes zählte jedoch nicht zu den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, das eine leichte Panik im Land ausgelöst hat. Die Absage des Unterrichts machte eine andere Bedrohung erforderlich: Aus dem Gazastreifen feuerten seit Sonntagabend Kämpfer der Terrororganisation Islamischer Dschihad mehrere Dutzend Raketen auf Israel. Die meisten wurden vom Luftverteidigungssystem Iron Dome abgefangen, ein Geschoss landete jedoch in der Stadt Sderot auf einem Spielplatz.

Netanjahu wirbt in Katar für eine Finanzierung der Regierung in Gaza

Mit ihrem Beschuss wollte die militante Palästinenserorganisation Rache für eine außergewöhnliche Operation der israelischen Armee nehmen: Die hatte in der Nacht zum Montag nicht nur Ziele des Islamischen Dschihad im Gazastreifen bombardiert, wie etwa das Hauptquartier der Organisation im Ort Khan Yunis oder wohl für Waffen genutzte Lagerhallen. Jets der israelischen Luftwaffe hatten zudem auch im Nachbarland Syrien zugeschlagen und dort nach eigenen Angaben südlich der Hauptstadt Einrichtungen zerstört, die der Islamische Dschihad für die Entwicklung von Waffen und die Produktion von Raketentreibstoff genutzt habe.

Das Regime von Baschar al-Assad ist Gastgeber einiger militanter Feinde Israels, unter anderem wohnt die Nummer zwei des Islamischen Dschihads in Damaskus, Akram Ajuri. Im Netz zirkulierende Berichte, dass er unter den insgesamt sechs Todesopfern des Angriffs war, bestätigten sich am Montag jedoch nicht. Zwei der Toten sollen nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte der Palästinenserorganisation angehört haben, vier pro-iranischen Milizen, die in Syrien auf Seiten des Regimes kämpfen.

UN-Sicherheitsrat betont Unterstützung der Zwei-Staaten-Lösung

Der Islamische Dschihad erklärte am Montagabend seine Angriffe für beendet; die "Vergeltung" sei abgeschlossen. Zuvor hatte Israels Premier Benjamin Netanjahu gesagt, er habe der Hamas, die im Gazastreifen regiert, die Nachricht übermittelt, wenn sie die Extremisten nicht stoppe, die hinter den Anschlägen stecken, werde sie selbst angegriffen. Die Waffenruhe hielt jedoch nur kurz. Der Islamische Dschihad nahm den Raketenbeschuss bereits in der Nacht zum Dienstag wieder auf. Grund sei, dass Israel seine Angriffe nicht gestoppt habe. Der Sprecher des bewaffneten Flügels der Gruppe sagte: "Der Feind hat sich nicht dazu verpflichtet, seine Aggression zu stoppen, wir haben sie nach dem Prinzip Feuer-für-Feuer wieder aufgenommen".

Angesichts der angespannten Lage in der Region meldete sich am Abend auch der UN-Sicherheitsrat zu Wort - zum ersten Mal seit der Veröffentlichung des Nahostplans der Regierung von US-Präsident Donald Trump vor drei Wochen. Der Rat schrieb in einer von allen 15 Mitgliedern gebilligten Mitteilung, er unterstütze eine Lösung, in der "zwei demokratische Staaten, Israel und Palästina, nebeneinander in Frieden innerhalb sicherer und anerkannten Grenzen leben".

Ausgelöst worden war die neue Runde der Gewalt durch einen Zwischenfall am Sonntag: Ein Mitglied des Islamischen Dschihads war beim Versuch erschossen worden, eine Bombe in der Nähe des Grenzzauns um den Gazastreifen zu platzieren. Ein Bulldozer der Armee versuchte daraufhin, die Leiche mit der Baggerschaufel wegzuschaffen, was erst nach mehreren Versuchen gelang. Israels Verteidigungsminister Naftali Bennet hat vergangenen November die Richtlinie ausgegeben, dass die Armee die Leichen getöteter Palästinenser sicherstellen und einbehalten solle. Bennet möchte sie als Verhandlungsmasse nutzen, um die sterblichen Überreste zweier getöteter israelischer Soldaten von der Hamas zu bekommen.

Rückschlag nach jüngster Annäherung zwischen Hamas und Netanjahu

Die neuerliche Eskalation kommt dem Islamischen Dschihad nicht ungelegen. Zum einen kann die Organisation so beweisen, dass sie weiter handlungsfähig und zum Kampf entschlossen ist, auch wenn Israel im September 2019 ihren Kommandanten im Gazastreifen getötet hat, Baha Abu al-Ata. Und zum anderen versucht die Gruppe, so eine Annäherung zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas zu untergraben, die sie einerseits aus ideologischen Gründen, aber auch machtpolitischem Kalkül ablehnt: Israels Regierung und die Hamas-Spitze verhandeln derzeit über einen dauerhaften Waffenstillstand, für den die Regierung von Premier Benjamin Netanjahu zuletzt durchaus zu ernst gemeinten Zugeständnissen bereit war. Zum einen wurde die Zahl der Visa erhöht, mit denen Bewohner des Gazastreifens nach Israel zum Arbeiten kommen können. Zuletzt schickte Netanjahu sogar Mossad-Chef Yossi Cohen nach Katar, um dort für eine weitere Finanzierung der Regierung in Gaza zu werben.

Im Vergleich zum Islamischen Dschihad und anderen Gruppen erscheint die radikalislamische Hamas Netanjahu mittlerweile als Kraft, die eher am Erhalt des Status quo interessiert zu sein scheint als an weiteren Auseinandersetzungen. Und zum anderen, vermuten zumindest Kritiker, wolle Netanjahu durch das Stützen der Hamas verhindern, dass der Gazastreifen wieder unter die Kontrolle einer so für künftige Verhandlungen gestärkten Palästinensischen Autonomiebehörde gerate.

Schon in der Vergangenheit hatte er den Transfer von mehreren Millionen Dollar von Katar in den Gazastreifen zugelassen, etwa um die Auszahlung von Gehältern zu ermöglichen. Netanjahus Konkurrenten bei der mittlerweile dritten Parlamentswahl binnen zwölf Monaten am 2. März haben den Umgang des um sein politisches Überleben kämpfenden Premiers mit Gaza als dessen Schwachstelle ausgemacht: Der nationalistische Avigdor Lieberman, der früher mit Netanjahu koalierte und nun mit ihm konkurriert, machte die geheime Mission in Katar öffentlich. Und Netanjahus rechtsliberaler Konkurrent nimmt den Ball gerne auf: Die Hamas erpresse Netanjahu, sagte Benny Gantz, und "er zahlt ihnen Koffer voller Dollars".

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SZ vom 25.02.2020/AP/mxm
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