Süddeutsche Zeitung

Nahost:Raketen zum Jahresbeginn

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Erst landen zwei Geschosse aus Gaza im Meer vor Tel Aviv, dann fliegt Israels Luftwaffe Angriffe auf Stellungen der Hamas. Mit der Ruhe nach dem jüngsten Krieg scheint es nun vorbei zu sein.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Zum Jahresbeginn sind wieder Raketen geflogen. Vor der Küste des Großraums Tel Aviv landeten zwei Geschosse aus dem Gazastreifen im Meer. Schäden haben sie nicht angerichtet, aber die israelischen Sicherheitskräfte haben sie aufgerüttelt - mit dem Ergebnis, dass die Luftwaffe in der Nacht zu Sonntag mehrere Ziele im palästinensischen Küstenstreifen bombardierte. Es ist auf beiden Seiten eine Erinnerung daran, wie schnell der Konflikt jederzeit wieder eskalieren kann.

Die neue Runde der Auseinandersetzung droht eine Phase der relativen Ruhe zu beenden, die auf den elftägigen Gaza-Krieg im Mai gefolgt war. Mit Genugtuung hatte Israels Armee noch zum Jahresende gemeldet, dass in den Folgemonaten weit weniger Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert worden waren als nach vorhergehenden Waffengängen. In Zahlen: Fünf Raketen wurden in den sieben Monaten bis Ende 2021 gezählt. Nach dem vorhergehenden Krieg 2014 waren es demnach im selben Zeitraum 22, nach dem Waffengängen 2012 und 2009 waren es 76 beziehungsweise 196 Raketen.

Israels Sicherheitskreise hatten daraus abgeleitet, dass der kurze Krieg im Mai reichlich Abschreckungskraft entfaltet hatte. Die seit Juni 2021 amtierende neue Regierung unter Premierminister Naftali Bennett hielt sich selbst zugute, dass ihre konsequenten Warnungen in Richtung Gaza Wirkung zeigten.

Niemand hat sich zu dem Angriff bekannt

Vor diesem Hintergrund wirken die in der Neujahrsnacht abgefeuerten Raketen fast so, als wollten die bewaffneten Gruppen im Gazastreifen - vorneweg die Hamas und der Islamische Dschihad - nun den Gegenbeweis antreten, allerdings aus der Deckung heraus.

Denn offiziell bekannt zu diesem Beschuss hat sich niemand. Vielmehr ließ die Hamas den Israelis über ägyptische Vermittler mitteilen, dass die Raketen versehentlich durch eine Fehlzündung abgefeuert wurden, die auf "schlechtes Wetter" zurückzuführen sei. Eine solche Erklärung hatte die Hamas nach Raketenbeschuss tatsächlich schon einige Male abgegeben.

Diesmal wurde das in Israel als wenig glaubwürdig angesehen, zumal es bereits in der vorigen Woche zu einem Zwischenfall am Grenzzaun gekommen war. Ein ziviler israelischer Arbeiter war dort von einem Scharfschützen aus dem Gazastreifen ins Visier genommen und verletzt worden.

"Das hat System", sagte Israels Justizminister Gideon Saar in einem Radiointerview. "Nicht das Wetter hat die Raketen abgefeuert, wir machen die Hamas dafür verantwortlich." Nach israelischer Lesart wollen die Herrscher des Gazastreifens mit einer gezielten Eskalation zum einen testen, wie weit sie bei Israels neuer Regierung gehen können. Zum anderen wollen sie ihrer Frustration darüber Luft machen, dass die seit dem Ende des Mai-Kriegs geführten Verhandlungen über die Finanzierung des Wiederaufbaus und eine langfristige Waffenruhe bislang kein Ergebnis zeitigen.

Eine Phase der Ruhe ist meist nur die Ruhe zwischen zwei Kriegen

Moderiert werden die Verhandlungen von Ägypten. Es geht darin auch um die Freilassung von zwei in Gaza festgehaltenen israelischen Zivilisten sowie die Überstellung der Leichen von zwei Soldaten, die im Krieg 2014 gefallen waren. Im Gegenzug sollen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freigelassen werden. Auch wenn immer wieder Fortschritte gemeldet worden waren, scheint eine Einigung derzeit nicht in Sicht zu sein.

Erfahrungsgemäß ist eine Phase der Ruhe rund um den Gazastreifen immer nur die Ruhe zwischen zwei Kriegen. Beide Seiten stehen dabei unter Handlungsdruck. Die Hamas nutzt Auseinandersetzungen mit Israel, um von den elenden Lebensbedingungen in ihrem Reich abzulenken und sich den Palästinensern als Kraft des Widerstands zu präsentieren. Israels neue Regierung hat eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Provokationen aus dem Gazastreifen angekündigt.

Eskalationspotenzial ist stets reichlich vorhanden. Aus Gaza wurde am Sonntag gemeldet, dass angreifende israelische Hubschrauber mit Abwehrraketen beschossen worden seien. Ein Treffer hätte eine größere militärische Auseinandersetzung wohl unausweichlich gemacht. Zudem droht Gefahr aus einer ganz anderen Richtung: Ein in Israel einsitzendes Mitglied des Islamischen Dschihads ist seit fast 140 Tagen im Hungerstreik. Im Falle seines Todes hat die Organisation eine harsche Antwort angekündigt.

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