Süddeutsche Zeitung

Krieg in Gaza:Abkommen zur Freilassung der israelischen Geiseln erscheint möglich

Lesezeit: 3 min

Premier Netanjahu betont, einem Deal "nicht um jeden Preis" zustimmen zu wollen. Doch alle beteiligten Parteien haben Interesse an einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen - und eine macht mächtig Druck.

Von Peter Münch, Tel Aviv

"Rote Linien" hat Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nun gezogen, einem neuen Geisel-Deal will er "nicht um jeden Preis" zustimmen. Das soll Härte demonstrieren in den laufenden Verhandlungen. Doch die damit losgetretene Preis-Debatte zeigt zugleich, dass diese Verhandlungen nach langer Durststrecke nun durchaus Aussicht auf Erfolg haben könnten. Vieles ist noch offen, Fallstricke lauern überall. Aber es gibt Interesse an einer Einigung auf allen Seiten, und vor allem die USA entfalten mächtig Druck und Aktivitäten. Denn die Regierung von US-Präsident Joe Biden sieht in einem Abkommen zur Freilassung der israelischen Geiseln aus den Händen der Hamas den ersten, unabdingbaren Schritt zu weitreichenden Lösungen - für ein Ende des Kriegs und die Zeit danach.

Die Grundzüge eines neuen Abkommens waren am vorigen Sonntag bei einem Treffen in Paris festgelegt worden. Die Federführung liegt bei CIA-Direktor William Burns. Flankiert werden seine Bemühungen von den Regierungen in Ägypten und Katar. Grünes Licht aus Israel signalisierten bereits Mossad-Chef David Barnea und Ronen Bar vom Inlandsgeheimdienst Schin Bet.

Was dort vereinbart wurde, fand schnell den Weg in amerikanische, arabische und israelische Medien. Demnach könnte die Freilassung der immer noch mehr als 130 Geiseln, von denen nach israelischen Erkenntnissen allerdings schon fast 30 nicht mehr am Leben sein sollen, in insgesamt drei Stufen erfolgen. Ende November waren während einer siebentägigen Waffenruhe schon einmal 105 Geiseln gegen 240 palästinensische Gefangene freigekommen.

Vermittler hoffen, einen Austauschprozess in Gang zu bringen

Nun geht es in jedem Fall um eine erheblich längere Waffenpause und um deutlich mehr palästinensische Häftlinge. In diesen beiden zentralen Fragen aber liegen die Vorstellungen Israels und der Hamas noch weit auseinander. Die Vermittler setzen darauf, erst einmal überhaupt einen Austauschprozess in Gang zu bringen - und die Details in weiteren Verhandlungen zu klären.

Phase eins des Plans sieht deshalb zunächst ein "humanitäres" Geschäft vor: 35 israelische Geiseln - die noch verbliebenen Frauen und Kinder plus Alte und Kranke - sollen während einer 35-tägigen Waffenruhe freigelassen werden. Danach sollen in einer weiteren kampflosen Woche die Bedingungen für die zweite Stufe ausverhandelt werden, in der die restlichen noch lebenden Geiseln freikommen könnten. In Stufe drei schließlich sollen auch die Leichen übergeben werden.

Mit einem dreifachen Nein hat Netanjahu als Eröffnungszug nun klargemacht, welchen Preis Israel nicht bezahlen will. Er steht dabei unter dem Druck seiner rechtsextremen Koalitionspartner, die weitreichende Zugeständnisse an die Hamas kategorisch ablehnen und als Reaktion auf die Pariser Gespräche sogleich mit einer Aufkündigung der Regierung gedroht hatten. Es sollen also "keine Tausende Terroristen" aus den Gefängnissen freikommen, Israels Truppen sollen nicht aus dem Gazastreifen abgezogen und der Krieg soll nach dem Ende des Geisel-Deals fortgesetzt werden.

Eine Rückkehr zum derzeitigen Kriegsmodus wäre wenig wahrscheinlich

Weit entfernt ist das von den Forderungen der Hamas, die eine Geisel-Freilassung bislang stets an ein Kriegsende geknüpft hat. Aber sind die Positionen damit auch unüberwindbar? Die Vermittler hoffen offenkundig auf die Kraft des Faktischen. Der auf mehrere Stufen ausgelegte Austauschprozess könnte sich über so viele Wochen und Monate hinziehen, dass danach eine Rückkehr zum derzeitigen Kriegsmodus wenig wahrscheinlich erscheint. Das wäre längst noch kein Frieden, aber würde auch keinen kompletten Truppenrückzug erfordern, sondern Israel die weitere militärische Kontrolle ermöglichen. Der Krieg in Gaza könnte damit in ein Szenario münden, dass der israelischen Sicherheitskontrolle über das Westjordanland ähnelt.

Die damit gewonnene Zeit könnte die US-Regierung nutzen, um Pläne für die Nachkriegsordnung voranzutreiben. Im amerikanischen Wahljahr will Präsident Biden keinesfalls im nahöstlichen Sumpf versinken. Vielmehr steht er unter dem Druck, einen außenpolitischen Erfolg zu präsentieren. Auf zwei Pfaden sind die US-Vermittler deshalb unterwegs. Zum einen soll die Palästinensische Autonomiebehörde so weit reformiert werden, dass sie Verantwortung auch in Gaza übernehmen kann. Erste Schritte dorthin wurden diese Wochen in Ramallah vorgestellt. Zum anderen soll Israels Widerstand gegen eine solche Lösung mit einem Lockangebot aufgebrochen werden: einer von Netanjahu lang schon erträumten Normalisierung der Beziehungen mit Saudi-Arabien.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6342504
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.