Süddeutsche Zeitung

Iran: Opposition vor Gericht:Das prophetische Geständnis

Lesezeit: 3 min

Keine Wahlfälschung und schuld ist der Westen: In Teheran geht der Schauprozess weiter. Wie vorhersehbar die Geständnisse sind, zeigt ein Video des Satirikers Nabavi. Es offenbart die Denkart des Regimes.

Matthias Kolb

Vor einer leuchtend grünen Wand sitzt ein Mann mittleren Alters in Sträflingskleidung. Er trägt eine Brille, um den Hals hängt ein grünes Band, auf dem Kopf sitzt eine Art Zipfelmütze. Er grinst kurz, dann beginnt er auf Persisch zu sprechen: "Im Namen Gottes, ich heiße Mohammed-Ali Abtahi." Immer wieder blickt er nach unten, um sein vorbereitetes Geständnis von einem Blatt Papier abzulesen.

Er habe mit Hilfe seines Blogs Aufstände geschürt und Bürger zu verführen versucht, er habe die Öffentlichkeit belogen und mit Hilfe des US-Geheimdienstes CIA eine "samtene Revolution" geplant, berichtet er. Plötzlich ist das Brüllen eines Löwen zu hören, ein kurzer Schnitt und auf der Stirn des Mannes klebt nun auf einmal ein dickes Pflaster. In den nächsten Minuten kommen noch weitere Bandagen hinzu.

Jener Mohammed-Ali Abtahi in dem Video ist in Wahrheit der Journalist und Satiriker Ebrahim Nabavi, der seit 2005 in Belgien lebt und eine erschreckende Weitsicht bewiesen hat. Der echte Abtahi, bekannt als der "bloggende Mullah", wurde am 14. Juni verhaftet, zwei Tage nach der Präsidentschaftswahl in Iran, und steht seit Samstag als einer von mehr als 100 Angeklagten in einem Schauprozess vor dem Revolutionsgericht.

Der Vertraute und einstige Stellvertreter von Reformpräsident Chatami spielt bei dem Verfahren, das am Samstag fortgesetzt wird und zu dem keine ausländischen Journalisten zugelassen ist, eine wichtige Rolle für das Regime.

Am ersten Verhandlungstag nannte Abtahi die Wahl vor den Richtern "fair und sauber" und bezeichnete die Juni-Proteste als Kulisse für eine Art versuchten Staatsstreich. Der Westen schaut mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu auf diese Inszenierung, doch viele Iraner werden die Bilder nicht überraschen.

"Du hättest es nicht genauer darstellen können. Wir haben vor kurzem ein ganz ähnliches Geständnis vom echten Abtahi gesehen", kommentiert ein User bei Youtube, wo das Video bereits vor vier Wochen hochgeladen wurde - seither haben es knapp 100.000 Menschen gesehen. Nichts hat Nabavi dem Zufall überlassen, alles ist stimmig, egal ob es um den Inhalt oder um die Inszenierung geht. Der echte Abtahi trat in einem grauen Gefängniskittel vor die Richter. Dass er keinen Turban trug, sei für einen renommierten Geistlichen wie ihn eine große Schmach, analysierte die Publizistin Katajun Amirpur im Deutschlandfunk.

Masterplan für die Revolution

Nabavi, der bekannteste iranische Satiriker, stellt in dem knapp sieben Minuten langen Film die Denkart des Regimes bloß: Seine Aussagen sind dabei so absurd-überspitzt, wie sie nur nach einem Verhör mit Foltermethoden zustande kommen können. Über die Zustände in iranischen Gefängnissen ist einiges bekannt: Vor kurzem soll ein Verantwortlicher im Teheraner Evin-Gefängnis gesagt haben, mit seinen Techniken könne er "selbst einen Hahn zum Eierlegen bringen".

Der falsche Abtahi hat einiges zu gestehen: Er habe den Masterplan für die Revolten für die Kandidaten Mussawi und Karrubi entwickelt, gesteht er, und Millionen von Dollar kassiert. Die Auftraggeber: Großbritannien, die Amerikaner und Israel. Sein ehemaliger Chef, Expräsident Chatami, sei ein Verräter - diese "Lektion" lernt er nach mehreren Schlägen. Wortreich entschuldigt er sich bei Ahmadinedschad, dem er künftig alle Wahlsiege dieser Welt wünsche: "mit achtzig Prozent der Stimmen, oder sogar mit 150 Prozent".

Außerdem, so gesteht Abtahi alias Nabavi, habe er mehrere Affären mit zahlreichen Frauen auf der ganzen Welt gehabt. Scarlett Johansson sei darunter, Angelina Jolie "mit ihrem hässlichen Ehemann" und auch Carla Bruni. Als der Geständige - in voreilendem Gehorsam - auch ein Techtelmechtel mit Marilyn Monroe zugibt, folgt der nächste Schlag: "Ach ja, die ist ja schon lange tot."

Wäre die Lage nicht so ernst und drohte den Angeklagten wie Abtahi nicht die Todesstrafe, würde man lauthals lachen über die lächerlichen Vorwürfe der Staatskleriker. Zum Ende des Films soll Abtahi gestehen, dass er einst in Beirut kurze Hosen getragen habe - damit habe er die nationale Sicherheit gefährdet, wie der Agent behauptet.

Selbst im Gefängnis gesessen

Der 1958 geborene Nabavi weiß selbst aus leidvoller Erfahrung, wovon er spricht: Der Journalist wurde 1998 verhaftet und zu 18 Monaten Haft verurteilt. Seine Aufzeichnungen aus dem Gefängnis sind landesweit bekannt. Viele Iraner lesen die Texte, die er in seinem Blog oder auf diversen Websites verfasst. Sein Publikum sind die Iraner in der Heimat und in der Diaspora, weshalb die Filme auch keine Untertitel haben; allerdings gibt es englische Transkripte.

Sein Humor ist bissig und er scheut weder davor zurück, die Mullahs zu kritisieren, noch Witze über den Islam zu machen. Als 2005 ein iranischer Geistlicher dem kubanischen Staatschef nahelegt, Muslim zu werden, kommentierte Nabavi bissig: "Castro ist ein ausgezeichneter Kandidat für den Übertritt zum Islam. Er erfüllt alle Bedingungen: Seit Jahren hat er sich nicht rasiert und er weigert sich anzuerkennen, dass sich die Welt verändert hat."

Auf aktuelle Ereignisse reagiert er schnell und einfallsreich. Als Ahmadinedschad vor einem Jahr in New York eine Rede vor den Vereinten Nationen hielt, stellte sich Ebavi folgender Szene vor. In Teheran sitzen Ahmadinedschads Ehefrau und Tochter vor dem Fernseher. "Mama, warum sagt Papa solche Sachen?", will die Tochter wissen. Die Mutter antwortet ihr: "Dein Papa wird der Führer der Welt sein und jeder hört ihm zu." Darauf entgegnet die Tochter: "Oh toll. Bedeutet das, dass wir Iran verlassen werden?"

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