Süddeutsche Zeitung

Interview mit Claudia Roth:"Ich warne davor, von einem Konsens zu sprechen"

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Grünen-Chefin Claudia Roth sieht in dem schwarz-gelben Atomausstieg eine Bestätigung für die Arbeit der Grünen - und ist dennoch alles andere als zufrieden. Im SZ-Interview erklärt sie, was sie am Konzept der Kanzlerin auszusetzen hat.

Michael Bauchmüller

SZ: Frau Roth, Schwarz-Gelb will aus der Atomkraft aussteigen. Sind die Grünen dabei?

Roth: Bisher haben wir ja nur Eckpunkte. Was die genau wollen, wissen wir ja noch nicht. Aber ich warne davor, schon jetzt von einem Konsens zu sprechen. Im Augenblick ist das nicht mehr als ein Koalitionsprojekt. Das ist beileibe kein Konsens, der mit der Opposition oder den Umweltverbänden ausgehandelt worden wäre.

SZ: Dann andersherum: Wäre es denn vorstellbar, dass die Grünen für diesen Vorschlag die Hand heben?

Roth: Wir werden uns das genau anschauen, wenn es vorliegt. Aber es sind jetzt schon einige Punkte klar, die für uns kaum zu akzeptieren sind.

SZ: Nämlich?

Roth: Zum Beispiel der unnötig verzögerte Termin für den Atomausstieg. Das ist deutlich weniger ambitioniert als das, was die Ethikkommission vorschlägt. Offen ist durch die mögliche Reststrommengen-Übertragung bisher auch noch, wann welche AKW vom Netz gehen werden. Oder auch diese fragwürdige "Kaltreserve": Man kann nicht einerseits sagen, wir nehmen die sieben ältesten vom Netz, lassen aber eines in Stand-by und damit in Funktion. Man kann ja ein Atomkraftwerk nicht wie eine Lampe ein- und ausschalten. Das reflektiert im Übrigen auch nicht ausreichend die Frage der Sicherheit, gerade nach Fukushima. Und bei der Endlagerung soll Gorleben weitergebaut werden, da wird die Vorfestlegung noch einmal gestärkt. Das geht für uns gar nicht.

SZ: Immerhin soll jetzt mehr Ökoenergie zum Einsatz kommen. Das müsste Sie doch freuen.

Roth: Wenn es nur so wäre! Mit Laufzeitverlängerung war das Ziel 35 Prozent bis 2020, ohne Laufzeitverlängerung soll es nun genauso sein. Wo ist da die Verbesserung? Der Ausbau müsste stärker sein, sonst entsteht ein Defizit. Das lässt nur den Schluss zu, dass mehr neue fossile Kraftwerke, womöglich Kohle, gebaut werden sollen. Die sollen dann auch noch mit beschleunigten Planungsverfahren gebaut werden, also mit beschränkter Klagemöglichkeit. Nach Stuttgart 21 eine falsche Entscheidung.

SZ: Sie sind doch nur sauer, dass Rot-Grün nur zwei Kernkraftwerke abschalten konnte, Schwarz-Gelb aber acht.

Roth: Unsinn. Natürlich ist es gut, dass auch eine CDU, eine CSU, eine FDP sagt, man muss aus der Atomkraft aussteigen. Das sehe ich eher als einen Erfolg der Grünen, dass sich die Mehrheiten so verändert haben. Hier geht es nicht um parteipolitische Auseinandersetzung, sondern um die Frage: Wie schnell ist der Ausstieg möglich?

SZ: Klingt gut. Aber vieles von dem, was da beschlossen wurde, ähnelt dem Ausstieg von SPD und Grünen. Dennoch sind die Grünen nun skeptisch. Nagt das nicht an der Glaubwürdigkeit?

Roth: Aber wir sind nicht mehr im Jahr 2001. In den vergangenen zehn Jahren hat sich vieles getan, deswegen ist jetzt viel mehr möglich. Wir sind bei den erneuerbaren Energien viel weiter, das muss man doch bei so einem Ausstieg berücksichtigen. Genauso wie die neue Lage nach Fukushima. Deshalb reicht ein bloßes Zurück zum Atomausstieg von vor zehn Jahren nicht aus.

SZ: Wird es denn einen Sonderparteitag zur Atomkraft geben, wie Sie ihn schon grob vorgeplant haben?

Roth: Das entscheiden wir, wenn das Gesetz wirklich vorliegt. Erst einmal wollen wir genau wissen, was Schwarz-Gelb eigentlich vorhat. Ob wir zur Delegiertenkonferenz einladen, entscheiden wir dann im Bundesvorstand. Wir sorgen jetzt aber schon für die nötigen Vorbereitungen. Oder wir kommen zu dem Ergebnis, dass wir diesen Weg nicht mitgehen können. Beides ist möglich.

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