Süddeutsche Zeitung

Indonesien:Mit Tiktok an die Macht

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In der drittgrößten Demokratie der Welt wurden die Wahlen auch mithilfe der sozialen Medien gewonnen. Präsident wird wohl ein Ex-General mit schlechter Menschenrechtsbilanz.

Von David Pfeifer, Jakarta

Es war sicher eine der ungewöhnlichsten Wahlen der Welt, die am Mittwoch in Indonesien abgehalten wurde. Die drittgrößte Demokratie und die wichtigste südostasiatische Volkswirtschaft nach China stimmte über ihren künftigen Präsidenten ab. Ein teilweise rückständiger, gleichzeitig aber aufstrebender, hypermoderner Staat, der sich in wenigen Jahren vom Schwellenland zu einer der wichtigsten Industrienationen mausern könnte. Im Globalen Norden bisher übersehen, im Süden bereits eine Macht. Mehr als 200 Millionen Frauen und Männer, die auf tausende Inseln verteilt leben, waren wahlberechtigt. Sehr viele junge Menschen gaben ihre Stimme einem relativ alten Mann: Prabowo Subianto, 72, ist "ein Ex-General mit einer erschreckenden Menschenrechtsbilanz", wie der britische Economist kürzlich schrieb.

Schon kurz nach Schließung der Wahllokale warteten viele dieser jungen Menschen in hellblauen Fan-T-Shirts bei großer Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit über Stunden vor dem großen "Istora Senayan"-Sportstadion in Zentral Jakarta auf den wahrscheinlich nächsten Präsidenten. Endgültig wird das Ergebnis erst in 35 Tagen bekannt gegeben, bis dahin können alle Parteien Protest einlegen. Doch am späten Mittwochnachmittag gibt es die ersten inoffiziellen Auszählungen der Stimmen. Diese Schnellauszählungen ergeben bereits eine Mehrheit von 58 Prozent für Prabowo. Das würde einen zweiten Wahlgang überflüssig machen.

Prabowo trat zusammen mit dem Sohn des scheidenden Präsidenten Joko Widodo zur Wahl an. Damit Widodos 36-jähriger Sohn als Vize kandidieren durfte, wurde sogar das Mindestalter für Kandidaten heruntergesetzt. Praktischerweise ist der Vorsitzende des Gerichts, das die Altersgrenze nach unten setzte, Widodos Schwager.

Der Sohn des bisherigen Präsidenten wird neuer Vizepräsident

Der künftige Präsident Prabowo war wiederum der Schwiegersohn von Präsident Suharto, der das Land von 1967 bis 1998 wie ein Diktator regierte. Ihm werden aus dieser Zeit, in der er beim Militär Karriere machte, die Verschleppung von protestierenden Studenten und Menschenrechtsverletzungen in Papua und Osttimor vorgeworfen. Doch die Opposition konnte im Wahlkampf wenig daraus machen. Ganz im Gegenteil: Dass Gibran Rakabuming Raka, der Widodo-Sohn, erst 36 Jahre alt ist, wurde in den sozialen Netzwerken als Vorteil vermarktet. Und die düstere Vergangenheit von Prabowo überspielt.

Die jungen Wähler, die ausgerechnet Prabowo mit seinem ausgeklügelten Social-Media-Wahlkampf am besten erreichen konnte, sind die entscheidende Wählergruppe in Indonesien. Das Durchschnittsalter liegt bei 29,9 Jahren, die tägliche Verweildauer vor Bildschirmen bei fast acht Stunden. Auf TikTok wurden Clips von Prabowo ausgespielt, die ihn beim Tanzen zeigen und ihn als "netten Onkel darstellen", erklärt John Muhammad. Er ist Sprecher der indonesischen Grünen.

Eigentlich sollten die Grünen eine Macht sein in Indonesien, vor allem bei den Jungen. Das Land ist massiv vom Klimawandel betroffen, aber dagegen unternommen wird wenig. In großen Teilen herrscht keine Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern, von diskriminierten Randgruppen ganz zu schweigen. Ihr Wahlprogramm haben die Grünen in 35 Sprachen übersetzt, um die vielen Ethnien im Land zu erreichen. Doch die Partei selbst konnte schon zwei Mal nicht zur Wahl antreten, da sie am hoch komplizierten Zulassungssystem des Inselreichs scheiterte. Das System wird von Wahl zu Wahl geändert und erschwert so den Zugang für neue Parteien. Das lasten die Grünen Widodo an.

Die Grünen hofften auf einen zweiten Wahlgang - um dann Prabowos Gegner zu unterstützen

Die größte Hoffnung der Grünen war bis zuletzt, dass man verhindern könnte, dass Prabowo und der Präsidentensohn im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der Stimmen gewinnen. Dann wäre im Juni ein zweiter Gang nötig, um zwischen dem erst- und zweitplatzierten Kandidatenduo zu wählen. Die grüne Partei Indonesiens hätte sich dann geschlossen hinter den Gegenkandidaten Prabowos gestellt. "Es ist natürlich etwas schwierig, die Menschen zur Wahl zu motivieren, nur damit sie gegen jemanden stimmen", sagte John Muhammad noch am Abend vor der Wahl in einem Café im "M Bloc Space", einem angesagten Ausgehviertel in Jakarta.

Die indonesische Hauptstadt hat sich - wie das gesamte Land - in den zehn Jahren unter Joko Widodo massiv verändert. Der scheidende Präsident brachte mit einer klugen Infrastrukturpolitik vieles voran, er ließ Flughäfen und Bahnverbindungen bauen. In der Megacity Jakarta kann man heute auf die Bahn ausweichen, wenn man nicht im Stau ersticken will. Indonesien hat sich in einem doppelten Salto vorwärts von einem reinen Rohstofflieferanten zu einer hypermodernen Digitalwirtschaft entwickelt und als alternativen Produktionsstandort zu China positioniert. Die Grundstimmung vor der Wahl war so, dass man mit Prabowo und dem Sohn des Präsidenten nichts falsch macht. Die beiden sollen Widodos Linie weiter führen und auch sein wichtigstes Projekt, den Bau einer neuen Hauptstadt, vorantreiben.

Dabei hat Widodo, so sagen seine Kritiker, in der zweiten Amtszeit vor allem daran gearbeitet, seinen Einfluss auch danach weiter zu erhalten. John Muhammad von den Grünen erkennt die Verdienste des Präsidenten an, der noch bis Oktober im Amt bleiben wird, bedeutender aber findet er dessen Verfehlungen. Zwar sei das Bruttosozialprodukt gestiegen, aber reicher seien eigentlich nur die ohnehin schon Reichen geworden. Es gibt mehr Arbeitsplätze, Indonesien verarbeitet mehr Rohstoffe und verkauft nicht nur alles an China. Doch die Grünen haben noch andere Ziele als wirtschaftlichen Aufschwung. "Wir haben eine Gruppe gegründet, die sich um Gleichberechtigung kümmert", sagt Muhammad. In Teilen des größten muslimischen Landes der Welt gilt noch die Regel, dass eine Frau das Haus nicht ohne ihren Mann verlassen darf.

Unehelicher Sex und Homo-Ehen sind in Indonesien nicht erlaubt

Die Grünen haben auch eine Gruppe gegründet, die sich für Umweltschutz einsetzt. Jakarta ist besonders vom Klimawandel betroffen, weil der Meeresspiegel steigt und die Stadt absackt - deshalb der Bau einer neuen Hauptstadt. Eine weitere Gruppe kümmert sich um LGBTQ-Rechte. Die Jokowi-Regierung verabschiedete erst 2023 ein Gesetz, das unehelichen Sex sowie das Zusammenwohnen unverheirateter Personen verbietet, was sich gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften richtet. Homo-Ehen sind in Indonesien nicht erlaubt. "Wir haben einen hoch angesehenen Imam als Sprecher für die Gruppe gewonnen", sagt Muhammad. Was den Imam für diesen Job qualifiziert? "Er ist sehr mutig", sagt Muhammad und lacht. Doch erst einmal werden diese Anliegen warten müssen.

Prabowo, der gegen Abend im Sportstadion auftritt, sagt dort, "andere Mächte sind neidisch auf ein Land, das so groß und reich ist wie Indonesien." Er fügt hinzu: "Lasst uns den Frieden bewahren, während wir auf das offizielle Ergebnis warten." Im Vorfeld waren Proteste gegen die manipulierte Wahl angekündigt worden, vor allem von Studentengruppen. Und der erst 36-jährige, zukünftige Vize-Präsident Gibran, bedankt sich wiederum bei Prabowo, "dass dieser der Generation Z eine Chance gibt, ein Teil der Reise in ein goldenes Indonesien zu werden."

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