Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Muss die polnische Grenze besser kontrolliert werden?

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Weil über Belarus und Polen immer mehr Migranten aus dem Nahen und dem Mittleren Osten nach Deutschland einreisen, fordert eine Polizeigewerkschaft Kontrollen. Das Bundeskabinett berät.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will die gestiegene Zahl unerlaubter Einreisen über die polnisch-deutsche Grenze im Kabinett zur Sprache bringen. Der Minister wolle in der Sitzung am Mittwoch Maßnahmen vorschlagen, wie man mit der Situation umgehen sollte, sagte der Sprecher des Ministeriums, Steve Alter, am Montag auf Anfrage. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Bundespolizeigewerkschaft (DPolG BPolG), Heiko Teggatz, hatte zuvor auf die Einführung temporärer Kontrollen an der Grenze zu Polen gedrängt.

Teggatz begründete dies in einem Schreiben an Seehofer auch mit der Gesundheitsgefährdung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundespolizei, da die Zahl der Corona-Infektionen in den Herkunftsländern der Migranten wie Irak, Syrien oder Afghanistan nach wie vor sehr hoch seien, wie die Bild berichtete. "Seit mehreren Monaten steigen die Zahlen der Aufgriffe nahezu explosionsartig an", zitierte das Blatt aus dem Brief der Bundespolizeigewerkschaft. Nur mit der Einführung temporärer Grenzkontrollen könne die Bundesregierung einem "Kollaps" an den Grenzen wie 2015 vorbeugen.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) zeigte sich skeptisch. "Ob die Kapazitäten der Bundespolizei ausreichen, mehrere Hundert Kilometer Grenze zu Polen zu kontrollieren und ob der Aufwand sich lohnt, kann nur die Bundesregierung entscheiden", sagte Stübgen am Montag der Deutschen Presse-Agentur. "Ich habe meine Zweifel, dass temporäre Grenzkontrollen das Problem lösen und warne vor einer Eskalationsspirale an der deutsch-polnischen Grenze. Grenzkontrollen oder gar Grenzschließungen würden das tägliche Leben für zigtausend Deutsche und Polen in der Grenzregion enorm belasten."

Die Regierungen in Lettland, Litauen und Polen beschuldigen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten und Flüchtlinge aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen. Lukaschenko hatte Ende Mai angekündigt, dass Minsk Migranten nicht mehr an der Weiterreise in die EU hindern werde - als Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen sein Land. Seitdem mehren sich Meldungen über versuchte irreguläre Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen zu Belarus sowie an der deutsch-polnischen Grenze.

Maas erhebt Vorwürfe gegen Lukaschenko

"Wir sind nicht länger bereit zuzusehen, dass es auch Unternehmen gibt wie Fluggesellschaften, die damit auch noch Geld verdienen", sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Montag bei einem Treffen mit Amtskollegen in Luxemburg. Man brauche Sanktionen, mit denen man klarmachen könne, dass man nicht bereit sei, dies weiter zu akzeptieren. Maas erhob erneut schwere Vorwürfe gegen den belarussischen Machthaber Lukaschenko persönlich. "Wir sehen uns in Europa konfrontiert mit der Tatsache, dass Lukaschenko Flüchtlinge als Instrument benutzt, um Druck auf europäische Staaten auszuüben", sagte er. Er sei "nichts anderes als der Chef eines staatlichen Schleuserrings".

Litauens Innenministerin Agnė Bilotaitė kündigte eine Aufstockung der Truppen zur Unterstützung von Grenzschutzbeamten an - so sollen täglich bis zu 64 Soldaten zusätzlich eingesetzt werden. "Wir müssen reagieren und auf den schlimmsten Fall vorbereitet sein", wurde Bilotaitė in einer Mitteilung zitiert. Verteidigungsminister Arvydas Anušauskas betonte, die litauische Arme habe "im Kontext der hybriden Aggression" Unterstützung geleistet und werde dies weiterhin tun.

"Aktuell sehen wir keinen Anlass für Grenzkontrollen", sagte der Vorsitzender des Bezirks Bundespolizei der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Roßkopf. "Ja, es muss reagiert werden, aber wir bevorzugen eine Intensivierung der Grenzfahndung", fügte er hinzu. Die aktuelle Situation sei, was die Zahl der ankommenden Schutzsuchenden angeht, nicht mit der Situation im Herbst 2015 vergleichbar. Im Bundesinnenministerium ist man dennoch alarmiert. Und auch das Auswärtige Amt versucht, Staaten wie den Irak oder Jordanien dazu zu bringen, Flüge nach Minsk zu stoppen.

Der Vorsitzende des Innenausschusses im Landtag Brandenburg, Andreas Büttner, lehnte den Vorschlag nach temporären Kontrollen an der Grenze zu Polen ebenfalls ab. "Das wäre aus meiner Sicht der vollkommen falsche Weg", sagte der Politiker der Linken, der von Beruf Polizeibeamter ist. "Der Wegfall von Grenzkontrollen ist eine der Grundfreiheiten der Europäischen Union."

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