Süddeutsche Zeitung

Nord Stream 1:Russland halbiert seine Gaslieferungen

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Der Nervenkrieg um die Pipeline spitzt sich zu. Gazprom will von Mittwoch an noch weniger Gas liefern. Die Bundesregierung hält die Gründe für die erneute Drosselung für vorgeschoben.

Von Markus Balser

Russland verschärft den Wirtschaftskonflikt mit Deutschland deutlich und reduziert die bereits gedrosselten Gaslieferungen durch die wichtigste Pipeline weiter. Von Mittwochmorgen an will Gazprom nur noch 33 Millionen Kubikmeter Gas täglich durch Nord Stream 1 nach Deutschland fließen lassen, teilte das Unternehmen am Montagabend mit. Damit wird die 1200 Kilometer lange Röhre nur noch zu 20 Prozent genutzt. Grund sei die Reparatur einer weiteren Turbine, hieß es. Die Bundesregierung hält die Gründe für vorgeschoben und vermutet einen Erpressungsversuch. Wirtschaftsminister Robert Habeck wirft dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein "perfides Spiel" vor.

Die gedrosselten Lieferströme verschärfen in Deutschland die Sorgen um drohende Engpässe in den kommenden Wochen und Monaten. Mit den bisherigen Liefermengen von etwa 66 Millionen Kubikmeter Gas täglich - rund 40 Prozent der Kapazität - war es gelungen, die Gasspeicher im Land weiter zu füllen, um so Engpässen im Winter vorzubeugen. Das wird nun schwieriger. Die erneute Halbierung der Gasströme bereitet den Behörden Sorgen. Szenarien der Bundesnetzagentur hatten für diesen Schritt Russlands einen Engpass bereits ab Januar vorausgesagt. Jedenfalls dann, wenn Deutschland Gas auch weiterhin ins Ausland liefert.

Putin hatte in der vergangenen Woche bereits angedroht, dass es um den 26. Juli zu einer weiteren Drosselung der Gaslieferungen über Nord Stream 1 kommen könnte. Er hatte dabei auf vom russischen Energieunternehmen verwendete Turbinen verwiesen. Demnach sei eine Drosselung möglich, wenn eine in Kanada reparierte Turbine nicht rechtzeitig wieder zur Verfügung stehe. Eine weitere Turbine sollte demnach um den 26. Juli herum für Reparaturen verschickt werden. Die Bundesregierung hatte sich um die beschleunigte Lieferung der Turbine bemüht, aber kritisiert, Russland wolle das Bauteil gar nicht in Empfang nehmen.

Erst am Donnerstag waren die Gaslieferungen nach einer zehntägigen Routinewartung wieder aufgenommen worden - weiterhin mit gedrosselter Leistung. Bereits im Juni hatte Gazprom die Lieferungen über die derzeit wichtigste Verbindung für russisches Erdgas nach Deutschland auf 40 Prozent der Maximalkapazität reduziert.

Das Bundeswirtschaftsministerium kritisierte den Schritt am Montag umgehend scharf: "Es gibt keine technischen Gründe für die Lieferkürzungen. Die Turbine steht zur Auslieferung an Russland bereit", sagte Minister Habeck. Die Ausfuhrdokumente von Siemens Energy lägen vollständig vor, aber Russland verweigere die Ausstellung der Einfuhrdokumente. "Russland bricht Verträge und gibt anderen die Schuld". Putins Strategie sei durchsichtig, so Habeck. Er versuche, "die große Unterstützung für die Ukraine zu schwächen und einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben". Dem werde man Geschlossenheit und konzentriertes Handeln entgegensetzen. Dazu gehöre der Bau einer Flüssigerdgas-Infrastruktur in hohem Tempo, die Befüllung der Speicher und die Senkung des Verbrauchs.

Am Montag waren in Deutschland bereits Befürchtungen laut geworden, vor allem in Süddeutschland könne es im Winter zu Engpässen kommen. Die Industrie wolle wissen, ob der Süden bei einer Notfallverteilung von Gas gegenüber dem Norden benachteiligt werde, es seien "große Ängste" im Spiel, warnte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Stuttgart bei einem Krisengipfel zur Gasversorgung.

Kretschmanns bayerischer Amtskollege Markus Söder (CSU) forderte die Bundesregierung auf, die Gasversorgung Bayerns und anderer Bundesländer aus dem österreichischen Speicher Haidach zu klären. Er reagierte damit auf die Ankündigung Österreichs, den auch für Bayern wichtigen Gasspeicher bei Salzburg möglichst bald - neben dem deutschen Netz - auch mit dem österreichischen Netz zu verbinden.

An den Börsen steigen die Gaspreise nach der Entscheidung von Gazprom zeitweise erneut um bis zu zehn Prozent Prozent an. Die EU-Kommission sieht die von Russland veranlasste Drosselung als Beleg dafür, wie dringlich Notfallplanungen auf europäischer Ebene sind, wie eine Kommissionssprecherin am Abend sagte.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur haben sich Vertreter der EU-Staaten bereits auf einen Notfallplan geeinigt, den die für Energie zuständigen Ministerinnen und Minister an diesem Dienstag beschließen wollen. Wie von der EU-Kommission vorgeschlagen sieht der Plan demnach vor, den nationalen Konsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei weitreichenden Versorgungsengpässen einen Unionsalarm auszulösen und verbindliche Einsparziele vorzugeben. Im Vergleich zum ersten Entwurf der Kommission sind dafür allerdings deutlich mehr Ausnahmemöglichkeiten vorgesehen und auch die Hürden für die Einführung von verbindlichen Einsparzielen wurden erhöht.

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