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Gazprom: Ein Jahr nach der Gaskrise:An den Reglern der Macht

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Vor einem Jahr stoppte Gazprom den Gas-Transit durch die Ukraine und Millionen froren. Nun scheint der Streit gelöst und das Selbstbewusstsein groß. Ein Besuch in der Schaltzentrale.

Matthias Kolb

Der Ingenieur in der Schaltzentrale ist zu Scherzen aufgelegt. "Ihr im Westen braucht keine Angst vor uns zu haben. Gazprom ist so transparent, dass wir fast schon unsichtbar sind", sagt er grinsend. Hinter seinem breiten Rücken hängt ein riesiger Bildschirm an der Wand, auf dem eine Karte von Russland zu sehen ist: Auf dunklem Grund verlaufen die neongrünen Pipelines wie Lebensadern durch das Riesenreich und noch weiter.

"Zeig mal Europa", ruft der Ingenieur einem seiner sechs Mitarbeiter zu, und kurz darauf ist der ganze Kontinent zu sehen. Fast bis in jede Ecke der Karte reichen die Röhren: Nur Spanien, Portugal und die Skandinavier kommen ohne russisches Gas aus. "Sehen Sie die oberste rote Zahl?" fragt er die Besucher aus Germania. Er wartet kurz und gibt selbst die Antwort: "Es ist die Länge unserer Pipelines: 160.000 Kilometer."

Anders als die westlichen Energie-Giganten habe man nichts zu verbergen und führe deswegen Gäste gern in den so genannten Dispatcher-Raum in Moskau, versichert der Ingenieur. Er referiert kurz die Geschichte des weltgrößten Gaskonzerns: 1946 wurde die erste Pipeline gelegt, heute sei das Netz so lang, dass man den Erdball drei Mal umspannen könne.

Lieferkrise oder Transitkrise

Wenn irgendwo im Pipelinenetz der Druck nachlässt oder andere Probleme auftreten: Im Dispatcher-Raum erfährt man es als erstes. Und in diesem Zimmer, wo stets die Uhrzeiten von Moskau, Berlin und dem sibirischen Tumen angezeigt werden, sahen auch alle Anwesenden vor einem Jahr, dass kein Gas durch das wichtige Transitland Ukraine strömte - 80 Prozent des europäischen Gases fließen durch die einstige Sowjetrepublik.

Premier Wladimir Putin ließ sich hier von seinem Duzfreund Aleksej Miller, den er 2000 als Gazprom-Chef installierte, die Lage erläutern - Fotografen aus aller Welt im Schlepptau.

Ein knappes Jahr später sitzt Millers Vize, Alexander Medwedjew, in einem holzgetäfelten Konferenzraum im 6. Stock der Zentrale und möchte lieber über Energieeffizienz reden. Der weltgrößte Energiekonzern investiere viel in diesen Bereich und setze auch auf erneuerbare Energien. Der Hintergrund ist einfach: Je weniger Gas im teilweise maroden Netz austritt oder durch undichte russische Fenster entweicht, desto mehr bleibt für den Export übrig.

Der smarte 55-Jährige, der nicht mit Russlands Präsident verwandt ist und als Gazprom-Außenminister gilt, ist überzeugt, dass das Image des Konzerns wegen des Gas-Streits mit Kiew nicht gelitten habe: "Es war keine Lieferkrise, sondern eine Transitkrise." Dieses Problem sei nun durch Abkommen geregelt, Gazprom ein verlässlicher Partner. Während Putin in den letzten Wochen vor einer neuen Krise warnte, gibt sich Medwedjew unpolitisch: "Wir verlangen, dass Kiew die Verträge einhält. Nicht mehr und nicht weniger."

Eine gute Position

Dass Medwedjew sich so gelassen und pragmatisch präsentiert, hat einen einfachen Grund: Die am 19. Januar 2009 geschlossene Abkommen zwischen Kiew und Moskau versetzen den Gasriesen in eine gute Position. Experten sind sich einig: Absolut gesehen profitiert Gazprom in deutlich höherem Maße von den Arrangements.

Putin und die ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko vereinbarten sowohl einen Liefervertrag als auch ein Transitabkommen. Beobachter wie Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik oder Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik loben, dass nicht nur Mechanismen zur Streitschlichtung und Revisionsklauseln festgehalten wurden, sondern auch, dass eine Preisformel festgeschrieben wurde, die sich am Ölpreis orientiert.

So soll eine politische Preispolitik wie in der Vergangenheit verhindert werden - Moskau verband bei Geschäften mit der Ukraine oder Belarus lange Zeit die Höhe der Abgaben mit politischer Solidarität. Bewegte sich eine Regierung zu sehr in Richtung Westen, wurden Öl und Gas teurer oder Leitungen gingen plötzlich kaputt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welchen Trumpf Moskau noch immer in der Hand hält.

Auch nach den neuen Abkommen hat Russland weiterhin einen "politischen Hebel in der Hand", wie SWP-Expertin Westphal analysiert: Die Ukraine hat sich verpflichtet, eine bestimmte Menge an Gas abzunehmen und innerhalb der ersten Woche des Monats zu bezahlen. "Take or pay" nennt sich diese Klausel und birgt für die Ukraine große Probleme: Das Land, das nur mit einem Milliardenkredit des IWF dem Staatsbankrott entging, ist notorisch klamm und benötigt wegen der Wirtschaftskrise weniger Gas, da die Firmen nicht mehr so viel produzieren.

Keine anti-russischen Ressentiments

Bisher hatte Moskau die Klausel immer wieder ausgesetzt - vor der ukrainischen Präsidentschaftswahl am 17. Januar will Moskau im Nachbarland keine anti-russische Sentiments fördern. Allerdings ist der moskaukritische Amtsinhaber Viktor Juschtschenko, der Held der orangenen Revolution, chancenlos.

Sowohl mit Timoschenko und Oppositionsführer Viktor Janukowitsch wird der Kreml besser kooperieren. Analysten halten es für möglich, dass Gazprom die Take-or-pay-Klausel irgendwann nutzen könnte, um Teile des ukrainischen Pipeline-Netzes zu übernehmen, was vielen Moskauer Geostrategen gefallen dürfte.

Die schwierige Modernisierung von Gazprom ist ein gutes Beispiel für die Schwierigkeiten der Modernisierung in Russland: Das Bewusstsein, dass Rohstoffe endlich und Veränderungen nötig sind, ist vorhanden. Doch der Firmen-Koloss mit mehr als 350.000 Angestellten bewegt sich nur langsam.

Zuletzt mehrten sich Stimmen, die dafür auch die Einflussnahme der Politprominenz verantwortlich machen. Vor allem Premier Putin gerierte sich im November, als entscheide nur er, wie sich Gazprom verhalte - dabei kontrolliert der russische Staat nur 50 Prozent plus eine Aktie.

Unter Putins Präsidentschaft kaufte das Unternehmen missliebige Medienbetriebe, bis heute unterhält es für seine Angestellten eine beeindruckende Infrastruktur mit eigenen Krankenhäusern, Reisebüros, Kulturzentren und Kindergärten. Außerdem ist die Firma in der Strom- und Atombranche aktiv.

Gerade Alexander Medwedjew gilt als einer der Reformer, die Gazprom in ein normales Unternehmen verwandeln wollen. So möchte man in Westeuropa und vor allem in Deutschland ("Unser wichtigster Partner", wie Medwedjew betont) ins Endkundengeschäft einsteigen und wirbt um Vertrauen. In einem Interview beschrieb er jüngst die Aufgabe seines Unternehmens so: "Wir bringen den Leuten Wärme". Das Engagement bei Schalke 04 und beim Europapark Rust soll das Image verbessern und Putins aggressive Aussagen entschärfen.

Dennoch hat das Unternehmen ein Problem, wie der Energie-Analyst Frank Umbach jüngst feststellte: "Gazprom brechen die Märkte weg." Das liegt daran, dass der Konzern mit langfristigen Verträgen arbeitet, die fixe Preise garantieren und so die teure Förderung in Sibirien finanziert. Da sich der Gaspreis jedoch an dem Ölpreis orientiert, ist der Energieträger momentan sehr teuer - an den so genannten Spotmärkten in London, wo Flüssiggas nach dem Angebot-Nachfrage-Prinzip gehandelt wird, können sich Kunden deutlich günstiger eindecken.

Gazprom fehlt es an Flexibilität

Norwegen, das mit einem ähnlichen Modell arbeitet, hat schneller reagiert und Marktanteile zurückgewonnen. Gazprom fehlt es hier an Flexibilität. Und auch deutsche Versorger wie Eon haben in ihren bis 2030 laufenden Verträgen Take-or-pay-Klauseln akzeptiert: Sie müssen das teure Gas unabhängig von der Nachfrage nehmen und bemühen sich um eine Anpassung.

Insofern wäre ein neuer Gas-Streit mit Kiew nicht im Interesse der Reformer bei Gazprom: Im Dispatcher-Raum sollen die grünen Linien der Pipelines wie immer vor dem schwarzen Hintergrund leuchten. Angst vor Konkurrenzprojekten wie Nabucco, für das sich Ex-Außenminister Joschka Fischer engagiert, hat Medwedjew nicht. Er grinst breit, als er der geplanten Pipeline, die vom kaspischen Meer nach Europa führen soll, "alles Gute" wünscht.

Er sehe aber drei Unterschiede zwischen Nabucco und dem Nordstream-Projekt, deren erste Röhren in diesem Jahr verlegt werden: "Wir haben das Gas, wir haben dank langfristiger Verträge den nötigen Absatzmarkt und zugleich Erfahrung mit einem komplizierten Milliardenprojekt." Da ist es wieder, das ungebrochene Selbstbewusstsein des Gasriesen.

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