Süddeutsche Zeitung

Friedenswinter-Demo in Berlin:Alte Schablonen für einen neuen Konflikt

Lesezeit: 2 min

Von Hannah Beitzer, Berlin

Die Ukraine ist auf der Friedenswinter-Demonstration in Berlin an den Rand gerutscht. Und zwar wortwörtlich: Hinter einem Transporter versteckt, streiten zwei Gruppen. Die einen tragen die Nationalflagge der Ukraine, Schilder auf denen "Putin - Hände weg von der Ukraine steht". Die anderen tragen die Flagge der von Russland unterstützten ostukrainischen Separatisten.

In einer Mischung aus Russisch, Ukrainisch und Deutsch schreien sie sich an. "Russische Truppen stehen in der Ostukraine!", "Putin will die Ostukraine gar nicht!", "Das ist eine Lüge!", "Nein!", "Doch!" Irgendwann wird es einer älteren Deutschen, die einen Friedenstauben-Anstecker am roten Filzhut trägt, zu viel. "Könnt Ihr mal leise sein? Wir wollen hier zuhören", raunzt sie die streitenden Ukrainer an.

Auf der Bühne vor Schloss Bellevue spricht gerade der Theologe Eugen Drewermann. "Die Nato ist das aggressivste Bündnis aller Zeiten", sagt er und die etwa 4000 Demonstranten applaudieren laut. Auf der Demo geht es um Rüstungspolitik, um Waffenexporte und um die Bundeswehr, die viele hier am liebsten abschaffen würden. Bundespräsident Joachim Gauck werfen Demonstranten auf Plakaten Kriegshetze vor, ein "US-Agent" sei er, der "SuperGAUk für den Frieden". Vor allem geht es aber um das Verhältnis des Westens zu Russland, das in der Folge der Ukraine-Krise argen Schaden genommen hat.

Mitgefühl nur für Russland, nicht für die Ukrainer

Mitgefühl und Verständnis erfährt an diesem Samstag vor allem Russland. Von einem "Nato-Feldzug gegen Russland", spricht Mike Nagler, Attac-Vertreter aus Leipzig. "Wie ein Krake hält die Nato die Westgrenze Russlands umklammert", sagt Theologe Drewermann. Gerade die Leute also, die vor einem Rückfall in den Kalten Krieg warnen, suchen bewusst oder unbewusst die alten Konfliktlinien. Sie unterteilen die Welt in West und Ost, in Nato und Russland. Wobei die Sympathien eindeutig verteilt sind.

Zu den Menschen in der Ukraine, deren Land gerade in einem blutigen Bürgerkrieg zerbricht, wo nach aktuellen Uno-Zahlen seit April mehr als 4600 Menschen getötet wurden, fällt den Rednern weniger ein. Dass in der Ostukraine im Kampf der Separatisten gegen die ukrainische Armee auf mysteriöse Weise russische Soldaten und russische Waffen auftauchen - kein Wort dazu. Dass der russische Präsident Wladimir Putin selbst längst zugegeben hat, Soldaten auf die Krim geschickt zu haben - kein Wort dazu.

Stattdessen erinnert Redner Drewermann an den wohlbekannten Bibelspruch: Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die linke hin. Was wohl die Ukrainer davon halten?

Dass die Demonstranten, die in Berlin laut "Wir wollen keinen Krieg" skandieren, zum Leid der ukrainischen Bevölkerung, die sich in einem tatsächlichen Krieg befindet, schweigen, ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Es zeigt, wie sehr die Komplexität dieses Konflikts überfordert. Russland gegen die Nato: So ließ sich die Welt nicht einmal während des Kalten Krieges in Gut und Böse einteilen.

Die Verunsicherung reicht weit in die Gesellschaft

Trotzdem wäre es falsch, die Angst vor einem Krieg, die in Berlin immerhin 4000 Leute auf die Straße getrieben hat, einfach abzutun. Die Verunsicherung reicht weit in die Gesellschaft hinein. Genau vor einer Woche forderten zahlreiche prominente Ex-Politiker, Künstler und Journalisten eine Wende in der Russland-Politik und einen Dialog mit Russland. Ihr Aufruf stieß auf harsche Kritik aktiver Politiker und einer Reihe von Osteuropa-Experten.

Es folgte ein wahres Ping-Pong an Aufrufen und Gegenaufrufen, an Kommentaren und Gastbeiträgen in den großen deutschen Medien. Anders als zum Beispiel in Russland, wo die Sicht des Kreml in den Massenmedien unwidersprochen bleibt.

Und so ist es vor allem ein Satz auf der Friedenswinter-Demo, der hängenbleibt: "Die Debatte um Krieg und Frieden ist zu wichtig, um sie den Eliten zu überlassen, sie gehört ins Parlament, in die Gesellschaft und in die Friedensbewegung", heißt es in einem Grußwort der Journalistin Daniela Dahn, das auf der Bühne verlesen wird. Das ist richtig. Ganz egal, wie groß das gegenseitige Unverständnis manchmal auch ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2266092
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.