Süddeutsche Zeitung

"Fridays for Future":Niedlich war gestern

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Beim Sommerkongress der jungen Klimaschützer zeigt sich: Die Bewegung wird jetzt ernst genommen. Sogar ein Wirtschaftsweiser diskutiert mit - und erntet Widerspruch.

Von Paul Munzinger und Nadja Schlüter, Dortmund

Für ihren Sommerkongress im Dortmunder Revierpark haben die Klimaaktivisten von "Fridays for Future" ein Riesenprogramm auf die Beine gestellt. Bis zum Sonntag gab es mehr als 140 Workshops, Podiumsdiskussionen und andere Veranstaltungen, in denen die jungen Protestierenden sich von erfahreneren Aktivisten und Klimaexperten erklären ließen, wie man eine überzeugende Rede hält, wie man Verbündete findet, wie man eine Kampagne gegen den "Klimakiller Fleisch" organisiert. Die meisten Besucher erreichte eine Diskussionsrunde am Samstagmorgen, und sie war für die Bewegung die womöglich wichtigste. Denn auf dem Podium fand kein Austausch unter Gleichgesinnten statt, sondern ein Schlagabtausch: Christoph M. Schmidt war nach Dortmund gekommen, der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

"Klimalobbyismus" heißt ein Workshop, der auf Gespräche mit Politikern vorbereitet

Dass der oberste Wirtschaftsweise überhaupt hier auftritt, belegt: Die Phase, in der die "Fridays for Future"-Bewegung entweder verteufelt, verniedlicht oder vergöttert wurde, ist vorbei. Sie wird ernst genommen, auch von Schmidt, der auf dem Kongress anerkennende Worte in viele Mikrofone spricht. Auf dem Podium aber übernimmt er die Rolle des kühlen Ökonomen, der die Forderungen der Bewegung einem wohlwollenden, aber strengen Realitätscheck unterzieht.

Zu diesen Forderungen zählt eine Steuer auf Treibhausgasemissionen in Höhe von 180 Euro je Tonne Kohlendioxid. Einen CO₂-Preis befürworten auch die Wirtschaftsweisen, das war das zentrale Ergebnis ihres Mitte Juli veröffentlichten Sondergutachtens zur Klimapolitik. Es brauche einen solchen Preis, betont Schmidt, damit der "Deponieraum" in der Atmosphäre nicht weiter übernutzt werde. 180 Euro aber hält Schmidt für deutlich zu hoch. Sollte die Politik überhaupt einen Preis auf CO₂ einführen, wäre das schon ein "Riesenschritt", sagt er, und der richtige Preis müsse sich dann nach dem Prinzip "Versuch und Irrtum" erweisen. Ein zu hoher Einstiegspreis aber verschrecke alle; Politik brauche Mehrheiten, und er werbe für eine Strategie, in der der erste nicht auch der letzte Schritt ist. "Das Machbare mit dem Wünschenswerten zu verbinden, das wäre das Ideale", sagt Schmidt.

Neben ihm sitzt Carla Reemtsma von "Fridays for Future", sie ist 21 Jahre alt; sie studiert Wirtschaft und Politik. Die 180 Euro hätten sich die Aktivisten nicht ausgedacht, hält sie dagegen, die Zahl komme vom Umweltbundesamt. So hoch seien die Folgekosten, die der Ausstoß einer Tonne CO₂ nach sich ziehe, und das sei noch "runtergerechnet". Reemtsma zeigt sich auch in der weiteren Diskussion unbeeindruckt, als es um die Frage geht, wie Veränderungen im globalen Maßstab zu erreichen sind. Das Wünschenswerte mit dem Machbaren verbinden? Aus Sicht der "Fridays for Future" gibt es nur eins: das Notwendige tun.

Stundenlang sitzen die Jugendlichen, die in den vergangenen Monaten so oft als Schulschwänzer bezeichnet worden sind, in Klassenräumen, um sich Vorträge über die chemischen und physikalischen Grundlagen des Klimawandels anzuhören, sich an der Auswertung von Meereis-Messdaten zu versuchen oder etwas über nachhaltige Energie oder Architektur zu lernen. "Die jungen Menschen hier sind fantastisch wissenschaftsbasiert", sagt Gregor Hagedorn. Der 53-jährige promovierte Biologe ist Forscher am Museum für Naturkunde in Berlin und Initiator der "Scientists for Future", einer Gruppe von Wissenschaftlern, die die Schülerbewegung unterstützt. Im März haben sie ein Statement dazu veröffentlicht, 26 800 Wissenschaftler haben unterschrieben. Auf dem Sommerkongress hat Hagedorn zwei Workshops über Umweltprobleme jenseits der Klimakrise angeboten, mit insgesamt etwa 40 Teilnehmern sprach er über den Phosphorkreislauf, die weltweite Süßwasserversorgung und Biodiversität. "Eigentlich sollten es zwei 90-Minuten-Workshops sein, letztlich hatte ich fünf Stunden volles Programm", sagt Hagedorn. Die Neugierde und der Diskussionsbedarf der Teilnehmer sei extrem groß gewesen.

"Die Workshops sollen unserer Bewegung eine wissenschaftliche Grundlage" geben", sagt der 15-jährige Linus Steinmetz, der zum Organisationsteam des Sommerkongresses gehört: "Dadurch hoffen wir, noch mal ernster genommen zu werden, und dass dann auch unsere Inhalte im Vordergrund stehen - und nicht die Tatsache, dass wir jung sind."

Die 21-jährige Geografiestudentin Anna aus Würzburg fühlt sich schon gut informiert. Sie hat sich für den Workshop über "Klimalobbyismus" entschieden, in dem die Teilnehmer auf Gespräche mit Politikern vorbereitet wurden: "Ich wollte wissen, wie ich da mein Anliegen am besten rüberbringen kann."

Vom 20. September an ist eine internationale "Fridays for Future"-Aktionswoche geplant. Am selben Tag will das Klimakabinett über ein Maßnahmenpaket entscheiden. Die Politiker können sich wohl darauf einstellen, bis dahin noch einige Gesprächsanfragen von Jugendlichen zu bekommen. Zur Vorbereitung solcher Treffen mit politischen Entscheidungsträgern hat "Fridays for Future" inzwischen eine eigene Gruppe gegründet.

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Quelle:
SZ vom 05.08.2019
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