Süddeutsche Zeitung

Hessen:Spitzenkandidatin auf Distanz

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Seit Donnerstag ist klar, dass Nancy Faeser für die SPD bei der hessischen Landtagswahl antreten wird. Trotzdem dürfte der Wahlkampf schwierig werden - mit einer Spitzenkandidatin, die sich vor allem in Berlin aufhält.

Von Gianna Niewel, Friedewald

Der Hessengipfel der SPD findet traditionsgemäß in Friedewald statt, kurz vor der Grenze zu Thüringen, ein früherer Generalsekretär hatte einen Ort gesucht, in dem sonst eher wenig los ist. In diesem Jahr aber sitzen im Rittersaal des Schlosshotels 30 Journalistinnen, Journalisten, Kameramänner, mehrere haben sich noch in der vergangenen Woche nachgemeldet, und statt 90 Mitgliedern, wie sonst, sind 190 gekommen, weswegen nicht nur das Hotel im Ort ausgebucht ist, sondern auch das im Nachbarort.

Aber wieso überhaupt?

Schon am gestrigen Donnerstag war öffentlich geworden, was eigentlich erst an diesem Abend öffentlich werden sollte: Nancy Faeser wird als Spitzenkandidatin der SPD bei der Landtagswahl am 8. Oktober antreten, während des Wahlkampfes wird sie in Berlin Innenministerin bleiben, und auch danach wird sie nur nach Wiesbaden zurückkehren, wenn sie Ministerpräsidentin werden kann. Und so ist die vielleicht spannendste Frage, wie diese Doppelrolle funktionieren soll.

"Hessen ist für mich Heimat", sagte Nancy Faeser, nachdem die Parteigremien sie gewählt hatten. "Hier anzutreten ist für mich Herzenssache". Dass sie sich aus einem Amt heraus bewerbe, sei eine "demokratische Selbstverständlichkeit", so wie das bei anderen selbstverständlich ist. Ist Boris Rhein nicht auch gleichzeitig Ministerpräsident und Spitzenkandidat? Mit dem sei sie sich im Übrigen einig, dass noch keine Zeit für Wahlkampf sei. Das Innenministerium vernachlässige sie nicht.

Sie tanze auf zwei Hochzeiten, werfen ihr die Grünen vor

Es sind erwartbare Antworten auf Kritik, die gerade erwartbar aus Bund und Land kommt. Sie "tanze auf zwei Hochzeiten" (hessische Grüne), sie habe "das Rückfahrtickt schon gelöst" (hessische FDP). "Die Menschen werden natürlich sehr genau darauf achten, dass das Amt nicht für Wahlkampfzwecke missbraucht wird", ließ der Generalsekretär der hessischen CDU ausrichten, und dass er sich freue, Faeser "gelegentlich" in der Heimat begrüßen zu dürfen.

Aber ist da, bei allem Spott, nicht auch etwas dran?

Nancy Faeser ist aus der Nähe von Frankfurt, dort wohnt sie noch immer. Mit 18 Jahren trat sie in die SPD ein, mit 33 zog sie in den Landtag ein, und wenn die SPD 2008 die Landtagswahl gewonnen hätte, hätte die Juristin Justizministerin werden sollen. Stattdessen wurde sie Oppositionsführerin, eine Rolle, die sie so gut machte, dass sie von der CDU und den Linken gleichermaßen Respekt bekam. Nancy Faeser, sagte damals Parteichefin Janine Wissler, sei eine "engagierte Mitstreiterin im Kampf gegen rechte Gewalt und Bedrohungen" wie den "NSU 2.0" gewesen. 2021 wechselte Faeser nach Berlin ins Innenministerium.

Wie engagiert wird die Basis Plakate hängen?

Als Spitzenkandidatin in Wiesbaden hat die 52-Jährige den Vorteil, dass sie nicht nur den Landtag kennt, sondern auch ihre Gegner, Ministerpräsident Boris Rhein für die CDU und seinen Stellvertreter Tarek Al-Wazir für die Grünen. Beide haben ihrer jeweiligen Basis einiges zugemutet, damit die Koalition hielt. 2021 etwa stimmten die Parteien gemeinsam gegen die Offenlegung der NSU-Akten.

Andererseits: Auch für die SPD wird es ein fordernder Wahlkampf werden. Die Genossinnen und Genossen wollen nach 25 Jahren in der Opposition wieder in die Staatskanzlei einziehen, treten aber mit einer Spitzenkandidatin an, die nicht allzu oft in Wiesbaden für sich werben können wird. Auch in den letzten Wochen vor der Wahl, sagte Faeser am Freitag, gehe das Land immer vor. In Hessen wird es also auf die Basis ankommen, auf all die Landräte und Oberbürgermeister, auf die Mitglieder in Karben, Kassel, Kirchheim. Wie engagiert hängen sie Plakate? Wie geschlossen klingeln sie an Haustüren?

Im Schlosshotel in Friedewald wissen die Mitglieder, dass Landtagswahlen Personenwahlen sind, dass es darum geht, wem die Menschen zutrauen, sie fünf Jahre lang zu führen. Sie werden stellvertretend um dieses Zutrauen werben müssen, werden da sein müssen, wenn Nancy Faeser nicht da sein kann. Wie sagte ein Genosse? "Das wird Arbeit." Er meint damit nicht nur den Wahlkampf, sondern auch die Ausgangslage. Im Hessentrend vom vergangenen Oktober kam die SPD auf 22 Prozent, etwa so viel wie sie gerade im Bund hat. In Hessen aber liegt sie damit fünf Prozent hinter der CDU und gleichauf mit den Grünen. "Wir haben wirklich Hoffnung, dass die Menschen Schwarz-Grün leid sind, und wir haben mit Nancy eine tolle Kandidatin", sagt der Genosse. Das mache die Arbeit leichter.

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