Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen:Der schmutzige Wahlkampf der NRW-AfD

Lesezeit: 5 Min.

Die AfD im Westen gibt sich bürgerlich. Im Internet aber zeigt sich: Unter den Parteimitgliedern sind Hetzer, Islamfeinde und Sexisten.

Von Benedikt Peters, Mettmann

Es gibt diese Momente, in denen man die AfD für eine bürgerliche Partei halten kann. Am Donnerstabend vergangener Woche zum Beispiel, in Mettmann, einer Kleinstadt bei Düsseldorf. Die "Gesellschaft Verein zu Mettmann" hat zur Podiumsdiskussion in ein Vier-Sterne-Hotel geladen. Gut hundert Zuhörer sitzen auf gepolsterten Stühlen über dickem Teppichboden, und vorn, auf dem Podium neben den anderen Lokalpolitikern, sitzt Herbert Strotebeck in dunklem Anzug und Krawatte.

Strotebeck steht auf Platz fünf der AfD für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Nach der Abstimmung am 14. Mai wird er im größten deutschen Landtag sitzen, alles andere wäre bei den derzeitigen Umfragewerten ein Wunder. Er trägt das graue Haar akkurat gescheitelt und spricht in geschliffenen Sätzen: Über die neue Einbruchsstatistik, über den Ausbau der Straßen, darüber, warum er das alte Abitur nach neun Jahren wieder zurück haben möchte. "Ich begründe Ihnen das auch gern. Unsere Kinder können noch genug arbeiten. Wir sollten ihnen mehr Zeit lassen, zum Beispiel, um ein Instrument zu erlernen oder Sport zu treiben." Strotebeck bekommt viel Applaus von Mittfünfzigern in Hemden und Sakkos, manchmal sogar mehr als der Mann von der CDU. Hier sitzt ein Bürgerlicher unter Bürgerlichen, so wirkt es.

Dass es mit der Bürgerlichkeit der Rechtspopulisten im Westen aber doch nicht so weit her ist, zeigt sich im Internet. 60 Politiker stehen auf der AfD-Liste für die Landtagswahl, und einige von ihnen führen den Wahlkampf im Netz mit schmutzigen Methoden. Sie hetzen gegen Ausländer, gegen Muslime, gegen Mitglieder der Bundesregierung. Das zeigt eine Recherche der Süddeutschen Zeitung, die die Facebook-Profile der Kandidaten auf der AfD-Liste ausgewertet hat. In weiteren Fällen deuten länger zurückliegende Posts von AfD-Kandidaten auf deren ausländer- oder frauenfeindliche Gesinnung hin.

"Ab ins Lager"

Ein paar Plätze hinter Strotebeck, auf Platz 16 der AfD-Liste, steht Thomas Röckemann, Wahlkreis Minden-Lübbecke. Röckemann hat ebenfalls Chancen, in den Landtag einzuziehen, wenn es bei den derzeitigen Umfragewerten von acht Prozent für die AfD bleibt. Auch er trägt gern Anzug, absolvierte zuerst eine Ausbildung bei der Polizei und studierte dann Jura.

Auf Facebook aber hat er es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, mit zweifelhaften Posts Hass zu schüren. Am 12. März teilt Röckemann einen Artikel des Portals "Lokalo24.de", die Überschrift lautet: "Junge Mädchen erleben Spießrutenlauf in der Fußgängerzone". Dazu schreibt er: "Junge Frauen und Mädchen werden belästigt und flüchten vor "Flüchtlingen" (...).Wenn sich unsere jungen Frauen und Mädchen nicht mehr ungestört und unbelästigt frei bewegen können, dann ist das Ende der Fahnenstange längst erreicht."

In dem Text heißt es, zwei zwölfjährige Mädchen hätten sich im Einkaufszentrum "City Point" in ein Geschäft geflüchtet, da sie auf den Gängen von Männern angesprochen wurden. Wer sie angesprochen haben soll und welchen Hintergrund die Männer hatten, wird nicht beschrieben. Das verschweigt Röckemann ebenso wie das Zitat des Polizeisprechers am Ende des Textes: "Von den beschriebenen Personengruppen im City-Point geht unseren Erkenntnissen nach keinerlei Gefahr aus."

Unter dem Post bricht sich ungeachtet dessen schon bald der Hass auf Flüchtlinge Bahn. "Es sind Tiiere", schreibt ein Facebook-Fan von Röckemann in zweifelhafter Rechtsschreibung, "sperrt sie alle in einen Käfig." "Jeder Deutsche Mann sollte sofort handeln", fordert ein weiterer. Es finden sich mehrere Mordaufrufe unter dem Post ("Hinrichten", "Kopfschuss"). Ein Nutzer schreibt: "Ab ins Lager."

Röckemann scheint es nicht zu stören, dass Derartiges auf seiner Seite verbreitet wird. Er kommentiert unter dem Artikel fleißig mit, ohne auf die Gewaltaufrufe und Nazi-Rhetorik einzugehen. Bis zum 6. April wurden die Kommentare nicht gelöscht, wie Screenshots belegen. Röckemanns Post ist kein Einzelfall, sondern offenbar Teil einer Strategie. Über Wochen und Monate teilt er immer wieder Artikel, in denen es um tatsächliche oder vermeintliche Übergriffe von Migranten oder um andere Zuwanderungsthemen geht. Die Quellen sind oft dubios, das rechte Magazin "compact" etwa ist darunter und das tendenziöse Portal "jouwatch".

Unter Röckemanns Posts entstehen hunderte Hasskommentare, Gewaltaufrufe und Nazi-Sprüche. Zu einer Meldung vom 20. März, die von der Seerettung von Migranten auf dem Mittelmeer berichtet, wird vorgeschlagen, auf die Menschen mit Torpedos zu schießen oder sie Haien zum Fraß vorzuwerfen. Zudem werden Migranten pauschal als "Ratten" bezeichnet. Unter einem Post vom 5. April, in dem es um die mutmaßliche Vergewaltigung einer Frau bei Bonn geht, schreibt jemand: "und Adolf musste sterben...,tztztztztzzz". In keinem der Fälle reagiert Röckemann, bis die SZ ihn am 6. April mit den Hasskommentaren konfrontiert.

Merkel, Gauck und Gabriel auf der Nazi-Anklagebank

Er ist nicht der einzige Kandidat der AfD, der im Internet Hass und Gewalt schürt. Der NRW-Jugendverband der Partei verbreitet bereits im August 2015 einen Comic, in dem die Europäische Zentralbank in Flammen aufgeht. Ein Mann, der zunächst ein Superman-Kostüm und später einen Trenchcoat trägt, entfernt sich von dem brennenden Gebäude. Es ist nicht klar, ob er die Bank in Brand gesetzt hat oder einfach nur nichts unternimmt, um den Brand zu löschen.

Vorsitzender der "Jungen Alternative" ist Sven Tritschler, er steht auf der NRW-Landtagswahlliste auf Platz 13. Weiterverbreitet hat den Comic von der brennenden EZB auch Alexander Langguth, Listenplatz 11.

Des Weiteren kursiert in AfD-Kreisen eine Fotomontage, deren Grundlage ein Bild der Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg ist. Die Köpfe der ursprünglichen Angeklagten um den NS-Luftwaffenchef Hermann Göring und den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, sind allerdings ausgetauscht worden. Stattdessen zeigt die Montage führende Bundespolitiker auf der NS-Anklagebank, darunter Kanzlerin Angela Merkel, Außenminister Sigmar Gabriel und den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Michael Schild, AfD-Listenplatz 25, gefällt das. Göring entging seinem Todesurteil durch Suizid, Keitel wurde 1946 mit neun weiteren Verurteilten hingerichtet.

In der NRW-AfD tobt ein Richtungsstreit

Ein weiterer AfD-Listenplatzinhaber stellt auf Facebook offen seine Islamfeindschaft zur Schau. Unter einem Bild, das ein mutmaßlich muslimisches Mitglied der rechten französischen Partei Front National zeigt, liefert sich Detlef Küsters, Platz 59, im Jahr 2013 einen verbalen Schlagabtausch mit einem Mann mit ausländisch klingendem Namen. Es fallen Beleidigungen auf beiden Seiten. Unter anderem schreibt Küsters: "Verschissener, schwuler Muselmann".

Jürgen Antoni, Platz 41, äußert sich frauenfeindlich. Im Mai 2013 postet er ein Bild von einer offenbar alkoholisierten, schlafenden Frau, die neben einem Mülleimer liegt. Dazu schreibt er: "Letzte Nacht auf einer unserer Autobahnraststätten gefunden. Mitgenommen, bisschen sauber gemacht, schläft noch. Zum Wegwerfen echt zu schade."

Die SZ hat die Betroffenen um Stellungnahmen zu den Postings gebeten. Sven Tritschler, der Vorsitzende der Jungen Alternative, die den Comic mit der brennenden Zentralbank postete, teilt mit, dieser sei satirisch gemeint. "Inhalt ist nicht, das wir uns eine brennende EZB wünschen, sondern lediglich die Feststellung, dass selbst Superman im Brandfalle auf das Löschen verzichten würde."

Für Alexander Langguth, von dessen Account der Comic weiterverbreitet wurde, meldet sich sein Anwalt mit einem Schreiben, in dem er das Berichterstattungsinteresse der SZ in Frage stellt. Weiter teilt der Anwalt mit, der fragliche Post zeige eine kritische Haltung gegenüber der Europäischen Zentralbank, die man bestenfalls so auslegen könne, diese sei überflüssig und gehöre abgeschafft.

Michael Schild, der die Fotomontage zu den Nürnberger Prozessen mit "gefällt mir" bezeichnete, antwortet auf Nachfrage, sein "Like" gelte "ausschließlich der gelungenen zeitgenössischen Verfremdung im Stile der 40er Jahre". Und Detlef Küsters schreibt, die Äußerung "Verschissener schwuler Muselmann" stamme gar nicht von ihm. Er könne sich nicht erklären, wie sie auf Facebook unter seinem Namen habe veröffentlicht werden können. Von Thomas Röckemann und Jürgen Antoni erhielt die SZ bis Ablauf der Frist keine Stellungnahme.

In der nordrheinwestfälischen AfD tobt derzeit ein Richtungsstreit zwischen einem etwas moderateren Lager, das der NRW-Spitzenkandidat der Partei, Marcus Pretzell, anführt. Pretzell ist zudem mit AfD-Chefin Frauke Petry verheiratet. Die beiden traten am Wochenende beim offiziellen Wahlkampfauftakt der NRW-AfD in Essen auf. Auch dort versuchten die beiden, das Bild einer bürgerlichen AfD zu vermitteln.

Zum Lager um Pretzell und Petry zählt auch Herbert Strotebeck, der AfD-Mann im Anzug aus Mettmann. Als die Podiumsdiskussion im Hotel vorbei ist, nimmt er zu den Vorwürfen gegen seine Parteifreunde Stellung. "Das geht nicht, solche Leute wollen wir nicht", sagt er. Mit ihnen auf der Landesliste aber steht er trotzdem.

Mitarbeit: Simon Conrad

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3456030
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.