Süddeutsche Zeitung

Europawahlkampf in Frankreich:Le Pen fordert Macron erneut heraus

Lesezeit: 4 min

Von Nadia Pantel, Paris

Vor Frankreichs Rathäusern und Schulen stehen die metallenen Stellwände bereit, auf denen von heute an die Kandidaten der Europawahl um die Wette lächeln. Dann beginnt die letzte Phase eines Wahlkampfes, der gefühlt schon seit November vergangenen Jahres ausgetragen wird. Emmanuel Macron oder Marine Le Pen?

Weder der Präsident noch die Chefin der rechtsradikalen Opposition kandidieren für einen Platz im Europäischen Parlament, doch die Frage, vor der die Franzosen stehen, lässt sich auf diese zwei Personen zuspitzen. Wollen sie ihren Präsidenten stärken? Oder geben sie dem Rassemblement National ihre Stimme und verschaffen damit Marine Le Pen zwei Jahre nach ihrem Scheitern bei der Präsidentschaftswahl späte Genugtuung?

Fährt man heute zu Wahlkampfveranstaltungen von Macrons La République en Marche (LREM), skandieren die Menschen dort dasselbe wie bei den Treffen der Rechtsradikalen: "On va gagner!" Wir werden gewinnen. LREM-Parteichef Stanislas Guerini erinnert immer wieder daran, dass bei Europawahlen nur einmal abgestimmt wird und nicht wie beim französischen Präsidentschaftsrennen in zwei Runden, doch die Dynamik erinnert sehr an den Mai 2017.

Als stünde Frankreich wieder vor einer The-Winner-takes-it-all-Entscheidung, bei der grundsätzlich über die Laufrichtung der Nation entschieden wird. Auf der einen Seite Le Pen und ihre Anhänger, die die Europäische Union ebenso verteufeln wie Migration und den Islam. Auf der anderen Seite Macron, der Zuversicht predigt und Europafahnen schwenken lässt.

Le Pen ist heute die prominenteste Oppositionspolitikerin Frankreichs, Macron ein Präsident, der durch die Protestbewegung der Gelbwesten seinen ersten heftigen Rückschlag erlitten hat. Um Profit aus der Schwäche zu schlagen, erklärt Le Pen die Europawahl zu einer Frage der Innenpolitik, ja zu einem "Referendum". Sollte Macrons Partei die Europawahl nicht gewinnen, müsse er zurücktreten, behauptet Le Pen.

Wahlkampf in schwarz-weiß

Der Rechtsextremen ist bewusst, was es bedeuten würde, wenn sie die meisten Stimmen bekommt. Im Zentrum stünde nicht ihr Triumph, sondern Macrons Niederlage. Die wenigsten, die Le Pen wählen, geben an, dies aus Überzeugung zu tun. Auch wenn Le Pen im politischen Establishment angekommen ist, glauben viele Wähler, ein Kreuz bei den Rechtsextremen sei ein Protestakt und keine Unterstützung xenophober Positionen.

Macron und seine Europaliste "Renaissance" reagieren auf die Konkurrenz von rechts, indem sie Wahlkampf in schwarz-weiß führen. Eine der beliebtesten Metaphern, die sowohl Parteichef Guerini als auch Spitzenkandidatin Nathalie Loiseau in den vergangenen Wochen immer wieder verwendet haben, beschwört die Angst vor einem Weltkrieg herauf. Die Franzosen und die Europäer müssten sich entscheiden, "welche 30er-Jahre sie wollen, die des vergangenen Jahrhunderts oder die 2030er-Jahre", so das Team Macron.

Die Warnung vor dem Nationalismus geht dabei interessanterweise mit dem Anpreisen nationaler Größe einher. Als LREM kürzlich zum Kampagnenabend mit Macrons links-grünem Vorzeigefreund Daniel Cohn-Bendit ins Pariser Theater Bobino einlud, hielt die Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten, Amélie de Montchalin, eine glühende Rede auf Paris als "erste Stadt Europas", in der sich "alles Beste" aus Kultur und Wirtschaft sammele.

Jenseits dieser markigen Worte ist es Macron gelungen, Unterstützer aus verschiedenen Lagern für sich zu gewinnen. Da wäre auf der Linken der erwähnte Cohn-Bendit, der davon überzeugt ist, dass mit Macron ein soziales Europa gestaltet werden kann. Auf der Rechten der ehemalige Premierminister Jean-Pierre Raffarin, der für Macrons Liste wirbt, obwohl er Mitglied der konservativen Republikaner ist. Auf Listenplatz zwei hat LREM Pascal Canfin untergebracht. Der Grünen-Politiker hat früher die französische Zweigstelle des WWF geleitet und bürgt via Biografie für das ökologische Engagement Macrons.

Schaut man sich die Prognosen der Meinungsforscher an, dann wirkt es tatsächlich, als habe Frankreich nur noch zwei politische Alternativen: Macron oder rechtsextrem. Zwar sind 34 Listen zur Europawahl zugelassen, doch die LREM-Liste "Renaissance" und das Rassemblement National sind die einzigen Kräfte, die in den Umfragen auf mehr als 20 Prozent kommen. Die linke France Insoumise und die konservativen Republikaner folgen mit großem Abstand bei jeweils gut zehn Prozent.

In einer Umfrage des Marktforschungsinstitutes Harris Interactive für den Figaro führte Le Pens Liste am Freitag erstmals vor Macrons Team, die Rechten kamen auf 22,5 Prozent der Stimmen, LREM auf 22 Prozent. Man kann das ein Kopf-an-Kopf-Rennen nennen. Man kann auch schlicht festhalten, dass es in dieser Wahl in Frankreich keinen klaren Sieger geben wird.

Protest der Gilets jaunes - weder klar links noch klar rechts

Präsident Macron ist es in bald zwei Jahren im Amt nicht gelungen, die Rechtsradikalen zu schwächen. Streiten kann man sich über die Frage, ob Le Pen von den Nachwehen der Gelbwesten-Proteste profitiert. Die Bewegung der Gilets jaunes hat der grundsätzlichen Unzufriedenheit vieler Franzosen eine Stimme gegeben, doch sie hat weder ein klares linkes noch ein klares rechtes Profil angenommen. Viele derjenigen, die sich Gilets jaunes nennen, misstrauen Politikern und gehen nicht wählen.

Sollte Le Pen in der Europawahl auf mehr als 20 Prozent kommen, wäre das ein Erfolg, aber keine Neuigkeit. 2014 brachte es die rechtsradikale Partei, damals als Front National, auf 24 Prozent der Stimmen, vor der Partei des damals regierenden Sozialisten François Hollande (14 Prozent) und vor den Konservativen (21 Prozent). Frankreich sprach von einem Schock. Fünf Jahre später scheint sich der Schock in Routine gewandelt zu haben. Keine Umfrage sieht Le Pen unter 20 Prozent.

Der LREM-Parteivorsitzende Guerini erinnert allerdings an die Umstände der vergangenen Europawahlen: "Le Pen kam 2014 mit vier Millionen Stimmen auf 24 Prozent. Macron holte bei der Präsidentschaftswahl mit acht Millionen Stimmen 24 Prozent im ersten Wahlgang." Sprich: Die niedrige Wahlbeteiligung stützt die Rechten, nur 42 Prozent der Franzosen waren 2014 an die Urnen gegangen.

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Quelle:
SZ vom 13.05.2019
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