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Konflikt um Grundwerte der EU:Gutachten hält Klagen gegen Rechtsstaatsmechanismus für unbegründet

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Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona ist der Ansicht, dass die Klagen Ungarns und Polens abzuweisen sind. Ein Urteil in der Sache dürfte jedoch erst in Monaten fallen.

Die Klagen Ungarns und Polens gegen die neue Rechtsstaatsklausel im EU-Haushalt muss nach Ansicht des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona abgewiesen werden. Das geht aus einem Gutachten des Generalanwalts hervor. Dieses ist jedoch für die Richter des Europäischen Gerichtshofs nicht bindend. Ein Urteil dürfte erst in einigen Monaten fallen. Mit dem Rechtsstreit vor dem EuGH hatte sich der Konflikt um Grundwerte in der EU zuletzt weiter zugespitzt.

Die EU-Staaten hatten sich im vergangenen Jahr auf den mehrjährigen EU-Finanzrahmen bis 2027 und das Corona-Aufbauprogramm geeinigt. Teil des 1,8-Billionen-Euro-Pakets war erstmals der Rechtsstaatsmechanismus, den Ungarn und Polen ablehnen. Der neue Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit sieht vor, dass EU-Ländern Mittel aus dem Gemeinschaftsbudget gekürzt werden können, wenn wegen Rechtsstaatsverstößen ein Missbrauch des Geldes droht.

"Wir können nicht zulassen, dass diese EU-Bestimmung, die schwerwiegend gegen EU-Recht verstößt, in Kraft bleibt", schrieb etwa die ungarische Justizministerin Judit Varga auf Facebook. Der polnische Regierungssprecher Piotr Müller erklärte, man gehe davon aus, dass diese Lösung keine rechtliche Grundlage in den EU-Verträgen habe. Für die Vergabe von Geld aus dem EU-Haushalt sollten einzig objektive und konkrete Bedingungen gelten. Die EU habe keine Befugnis, den Begriff "Rechtsstaat" zu definieren.

Mit Blick auf den Rechtsstaat sind beide Länder schon lange Sorgenkinder in der EU. Sie bekommen netto hohe Milliardenbeträge aus dem EU-Haushalt, zugleich laufen gegen sie wegen mutmaßlicher Missachtung von EU-Grundwerten Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge. Die nationalkonservative Regierung in Polen baut das Justizwesen trotz internationaler Kritik um und setzt Richter damit unter Druck. Die rechtsnationale Regierung von Viktor Orbán in Ungarn steht wegen ihrer Flüchtlings-, Medien-, Hochschul- und Justizpolitik in der Kritik.

Dem Haushaltspaket inklusive Rechtsstaatsklausel stimmten Polen und Ungarn im Dezember zwar zu. Als Kompromiss handelte Deutschland - damals im Ratsvorsitz - eine Zusatzerklärung aus. Zentraler Punkt war die Klarstellung, den Rechtsstaatsmechanismus vom EuGH überprüfen lassen zu können. Ungarn und Polen kündigten damals bereits an, davon Gebrauch zu machen, und setzen dies mit ihrer Klage um.

Die EU-Kommission wird nach Angaben eines Sprechers das Urteil des EuGH abwarten, bevor sie gegebenenfalls erstmals eine Kürzung von EU-Geld vorschlägt. Durchschnittlich dauern Verfahren am EuGH rund eineinhalb Jahre. Bei einem beschleunigten Verfahren, das das Europaparlament beantragen dürfte, sind es immer noch zehn Monate.

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