Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Ein "demokratischer Pakt" für Europa

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Bei der "Konferenz für die Zukunft Europas", die im Mai beginnt, sollen die Bürgerinnen und Bürger sagen, was sie sich von der EU erwarten.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Es war ein Baustein ihres Werbens um die Europaabgeordneten: Als sich Ursula von der Leyen im Juli 2019 als designierte Präsidentin der EU-Kommission präsentierte, wünschte sie sich, "dass wir gemeinsam daran arbeiten, das Spitzenkandidaten-System zu verbessern" und "länderübergreifende Listen bei den Europawahlen (...) thematisieren". In Straßburg schlug die CDU-Politikerin damals eine "Konferenz zur Zukunft Europas" vor. Weil sie mit hauchdünner Mehrheit gewählt wurde, konnte von der Leyen nun jene gemeinsame Erklärung unterschreiben, durch die diese Konferenz am 9. Mai beginnen kann. David Sassoli, der Präsident des Europaparlaments, sprach an der Seite von Portugals Premier António Costa von einem "wichtigen Tag für die Demokratie in Europa".

Im Zentrum sollen die Bürgerinnen und Bürger stehen, die sich mit einer "mehrsprachigen digitalen Plattform" beteiligen sollen. Vorgesehen sind eine breite Spanne von physischen Veranstaltungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Während das EU-Parlament betont, dass der Prozess auf zwei Jahre angelegt ist, hat sich mit Präsident Emmanuel Macron der eigentliche Initiator durchgesetzt: Die Konferenz soll im Frühjahr 2022 Schlussfolgerungen vorlegen. Dann hat Frankreich die rotierende EU-Ratspräsidentschaft übernommen und Macron braucht die große Bühne für seine Wiederwahl.

Die Reden zeigten, was den Institutionen wichtig ist. Sassoli will den "demokratischen Pakt" mit der Bevölkerung erneuern und Tabus vermeiden. Also sagte der Chef des EU-Parlaments: "Wir brauchen Vertragsänderungen, wenn dies es ist, was die Bürger wollen." Solche Gedanken werden in vielen Hauptstädten abgelehnt, weshalb Costa darauf verwies, dass nicht alle die gleiche Vision für Europa und die Zukunft hätten: "Aber es ist wichtig, dass wir diskutieren." Seine Vision eines "fairen, grünen und digitalen Europas" deckt sich mit den Prioritäten von der Leyens, die nun zum Spitzenkandidaten-System schwieg.

Die Kommission sieht sich als Vermittlerin

Die Kommission sieht sich als Vermittlerin zwischen den Abgeordneten und Regierungen, deren Eitelkeiten neben der Corona-Pandemie den Start verzögerten. Das EU-Parlament hatte 2020 den Liberalen Guy Verhofstadt als Konferenzchef nominiert, der wie Valery Giscard d'Estaing beim Verfassungskonvent vor zwanzig Jahren das Gesicht der Veranstaltung sein sollte. Doch der Belgier wurde von den Staats- und Regierungschefs abgelehnt. Man suchte jemand, der nicht mehr politisch aktiv ist und die nötige Mischung aus Europa-Enthusiasmus und Realitätssinn mitbringt. Auch die Dänin Helle Thorning-Schmidt fand keine Mehrheit.

Nun gibt es unter dem Dreiervorsitz der Präsidenten der Institutionen einen neunköpfigen "Exekutivausschuss". Dort werden die Christdemokraten durch Fraktionschef Manfred Weber (CSU) vertreten, der klagt: "Manche Mitgliedstaaten scheinen regelrecht Angst davor zu haben, über die Zukunft Europas zu diskutieren." Während Weber eine "Gesundheitsunion" sowie ein "wirklich demokratisches Europa" aufbauen will, will die oberste Sozialdemokratin Iratxe García Pérez stärker auf "Gleichheit, Solidarität und Hoffnung" setzen.

Eine im Herbst 2020 in allen 27 Mitgliedstaaten durchgeführte Umfrage ergab, dass drei Viertel der Befragten die Zukunftskonferenz positiv sehen. 51 Prozent gaben an, sich selbst aktiv einbringen zu wollen: Am engagiertesten sind mit 81 Prozent die Iren, wo es seit Jahren Bürgerräte gibt. In Deutschland liegt der Wert bei 59 Prozent, am niedrigsten ist der Enthusiasmus in Bulgarien und Portugal (je 34) sowie Lettland (40). Als größte globale Herausforderung wird der Klimawandel angesehen; als wichtigsten Vorteil der EU nennen 32 Prozent die Achtung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Für Katarina Barley (SPD) ist dies ein "ermutigendes Zeichen". Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments warnt aber davor, die Zukunftskonferenz als "Pflichtübung" zu sehen, deren Ergebnisse bereits feststünden.

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