Süddeutsche Zeitung

EU und Bootsflüchtlinge:Eine Brücke zwischen Meloni und Macron

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Die EU schlägt Italien und Frankreich in der Migrationspolitik einen Kompromiss vor. Sie will vor allem dafür sorgen, dass sich weniger Flüchtlinge auf den Weg durchs Mittelmeer machen.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Die Europäische Kommission versucht, in aller Eile wieder eine Brücke zu bauen zwischen Italien und Frankreich, zwischen Giorgia Meloni und Emmanuel Macron. Die Zeit drängt, denn der Streit zwischen den beiden Ländern um die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen, die über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa kommen, lähmt nicht nur die Migrationspolitik der EU - er gefährdet generell den Zusammenhalt der EU. Deshalb stellte Kommissarin Ylva Johansson am Montag einen Aktionsplan mit drei Pfeilern für die neue Brücke vor.

Die EU will, erstens, sicherstellen, dass sich vor allem von Libyen aus sehr viel weniger Menschen auf den Weg durchs Mittelmeer machen. Zweitens sollen die Regeln neu diskutiert werden, nach denen private Seenotretter arbeiten. Und drittens soll die freiwillige Verteilung von Migranten beschleunigt werden. Das alles wird am Freitag bei einem Sondertreffen der für Migrationsfragen zuständigen Ministerinnen und Minister in Brüssel besprochen.

90 000 Menschen kamen in diesem Jahr bereits über die zentrale Mittelmeerroute

Die Lage war eskaliert, weil Italiens ultrarechte Ministerpräsidentin Meloni sich geweigert hatte, das Seenotrettungsschiff "Ocean Viking" mit 234 Migranten an Bord in einen italienischen Hafen einfahren zu lassen. Nach langem Zögern erklärte sich Frankreich bereit, die Menschen aufzunehmen, warf aber Italien einen Verstoß gegen internationales Recht vor. Zur Strafe widerrief die Regierung von Präsident Macron ihr Versprechen, in diesem Jahr 3500 geflüchtete Menschen aus Italien aufzunehmen. Die Frage wird nun sein, ob sich Meloni und Macron auf die Kompromisslinie der Kommission einlassen.

Die Situation auf der zentralen Mittelmeerroute sei jedenfalls nicht mehr hinnehmbar, sagte Johansson. 90 000 Menschen seien dieses Jahr schon gekommen, 50 Prozent mehr als zum selben Zeitpunkt 2021. Schätzungsweise 90 Prozent würden die Dienste von Schleppern nutzen. Und in der überwiegenden Zahl hätten sie keinen Anspruch auf internationalen Schutz. Allein aus Bangladesch, sagte Johansson, seien 11 000 Menschen in Europa angekommen. In Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen will die EU nun versuchen, solche Migranten von Tunesien, Ägypten und vor allem Libyen aus wieder zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen und den Schleppern das Handwerk zu legen. Dafür wird man viel Geld zur Verfügung stellen.

Menschen, die im Mittelmeer in Not geraten, müssten weiterhin uneingeschränkt gerettet werden, darauf legte Johansson wert. Und diese Verpflichtung gelte auch für Italien. Die Rettungseinsätze sollen nun "besser koordiniert" werden. Offen ließ Johansson, ob für die Rettungsschiffe von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) weiterhin die Regel gelten soll, dass sie den nächsten Hafen anlaufen dürfen. Das gesamte Regelwerk solle in Verhandlungen zwischen den Flaggenstaaten, den Anrainerstaaten und der Internationalen Seeschifffahrts-Behörde (IMO) diskutiert werden, sagt Johansson. Die Kommission legt dazu keinen Vorschlag auf den Tisch.

Aktionspläne statt Strategie

Um die Anrainerstaaten der EU zu entlasten, sollten in diesem Jahr 8000 Geflüchtete auf freiwilliger Basis unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt werden - wobei wesentliche Kontingente nur Deutschland und Frankreich aufnehmen wollen. Warum bislang nur eine niedrige dreistellige Zahl verteilt wurde, konnte Johansson nicht so recht erklären. Jedenfalls will die Kommission das Verfahren beschleunigen.

Voraussetzung dafür ist, dass Frankreich wieder zu seinen Zusagen steht - und Italien erst einmal wieder NGO-Schiffe aufnimmt. Der Kompromissvorschlag ist weit entfernt von einer "Seeblockade" für Flüchtlinge, die Meloni gefordert hatte. Italiens Innenminister Matteo Piantedosi deutete am Montag zumindest an, die Vorschläge aus Brüssel seien in seinem Sinn.

Kommissarin Johansson ließ erkennen, wie unerfreulich sie es findet, dass die EU von Aktionsplan zu Aktionsplan hechelt, statt sich auf eine gemeinsame Strategie für Aufnahme, Verteilung und Rückführung von Migranten zu einigen. Eine solche hat die Kommission vor mehr als zwei Jahren im Migrationspakt formuliert. Nur zwei Wochen nach dem Sondergipfel vom Freitag werden die Ministerinnen und Minister darüber bei einem neuerlichen Treffen verhandeln.

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